Der schwarze Bierkrug ist der schönste in meiner Sammlung. Dabei ist schwarz nur die Grundfarbe. Geschmückt ist er noch mit leuchtend roten Mohnblüten, weißen Margeriten, goldgelben Ähren, blauen Vergissmeinnicht und grünen Blättchen – wirklich ein Prachtexemplar. Der Bürgermeister von Domažlice (sprich Domaschlitze) hat mir den Krug geschenkt. Hin und wieder solle ich mich an unser Interview über seine Stadt und das Chodenland erinnern. Ja, der mehr als 11.200 Einwohner zählende Ort, reichlich 50 Kilometer südwestlich von Plzen gelegen, ist das Zentrum der Region im chodischen Hügelland. Dazu gehören rund ein Dutzend Dörfer und Kleinstädte ringsum, mal näher und mal weiter zur deutschen Grenze.
Aus der ursprünglichen Zollstation und dem kleinen Dorf ließ der böhmische König Přemysl Otakar II. ab 1262 eine befestigte Stadt zum Schutze der Grenze nach Norden errichten. Davon zeugen heute noch die starken Stadttore und die Chodenburg. Bei Domažlice besiegte im Jahre 1431 der Hussiten-Feldherr Prokop der Große mit seinen Kämpfern ein ins Land eingefallenes Kreuzritter-Heer. Daran erinnert ein großes Gemälde im Rathaus, das eine Szene der Schlacht zeigt. Die Chodenburg wurde im 18. Jahrhundert zum Schloss ausgebaut und ist derzeit Museum. Mit zahlreichen Exponaten werden hier vor allem volkskünstlerische Traditionen bewahrt. Der interessierte Besucher findet in dem Haus aber auch bedeutende Dokumente wie Majestätsbriefe, die den Choden gewährte Privilegien enthalten.
Die Choden waren ja in der Gegend angesiedelte freie Bauern. Sie bewachten im Auftrag der böhmischen Herrscher die Landesgrenze. Der Begriff Choden ist abgeleitet vom Verb „chodit“ – gehen. Das waren also jene, die mit ihren Wolfshunden „an der Grenze gehen“. Und so kam dann die Region zu ihrem Namen „Chodenland“.
Wer nun diesen tschechischen Landstrich mit den Menschen, ihren Sitten und Gebräuchen kennenlernen möchte, der sollte am besten das Chodenfest in Domažlice besuchen. Es findet schon seit vielen Jahren stets im Sommer statt, dieses Jahr am zweiten Augustwochenende. Auf dem langgestreckten Marktplatz, unter dem fast 60 Meter hohen „Weißen Turm“ erlebt der Gast an vielen bunten Ständen und vor mindestens fünf Bühnen die ganze Vielfalt chodischen Lebens.
Wenn zum Beispiel die Dudelsackpfeifer mit fröhlichen Weisen aufspielen, verkünden sie auch den Ruhm einer Instrumentenbauer-Dynastie. Viele haben vielleicht sogar ihre „Dudy“ aus der Domazlicer Werkstatt „Konrady“ bezogen. Ursprünglich war Jakub Konrady Orgelbauer. Er begründete 1895 den guten Ruf der Sackpfeifen aus seinem Hause. Sein Sohn, Jakub junior, lernte noch mit 40 Jahren von ihm die Kunst, wie man einen guten Dudelsack herstellt. Einen ganzen Monat dauert es, bis so ein Instrument gefertigt ist. Und 1968 machte Jakub junior, der inzwischen mit 63 Jahren selbst Senior war, eine tolle Erfindung, das 8. Tonloch in der Melodiepfeife. Seitdem können böhmische Musikanten einen ganzen Oktavbereich für ihr Spiel nutzen. In anderen Ländern hat man dagegen noch die Sieben-Ton-Dudelsäcke. Das ist längst schöne Geschichte. Nach Jakub hat dessen ältester Sohn Jaromir und inzwischen vielleicht ein Enkel die Familientradition fortgeführt.
Neben der Pflege tradtioneller Lieder und Gesänge findet der Besucher auf dem langen Markt noch eine andere, nicht weniger wertvolle Volkskunst, Domažlicer Keramik. Allein wegen ihr kommen Liebhaber von weit her zum Fest. Die Töpferei ist im Chodenland seit über 350 Jahren zu Hause. Jedoch, Domažlicer Keramik kommt nicht aus Domažlice. Hergestellt werden die wunderschönen Krüge, Tassen, Teller, Kannen und Vasen in dem Töpfereibetrieb der Genossenschaft „Chodovia“. Die hat ihren Sitz in dem rund neun Kilometer ent-fernten kleinen Ort Klenčí pod Čerchovem, also noch im Domažlicichem. Die Genossenschaft gibt es seit 1920. Ihr schlossen sich nach und nach einige Töpfer an, und 1953 hat sie die Keramik-Produktionsstätte eingerichtet. Dort entsteht seitdem die bekannte, vom Grund her schwarze und weiße Keramik, die ihre farbenfrohen Blütenmuster den Festtrachten der Chodenfrauen entlehnt. Freunde der tönernen Kunst finden zum Fest auf jeden Fall ein schönes Andenken. Außerdem bietet „Chodovia“ auch Trachten, Schnitzereien und Gegenstände aus Metall.
Wer es nun bei großer Wärme etwas schattig mag, der kann sich unter die Arkaden der gotischen, barocken, Renaissance- und Empirehäuser begeben, die den gesamten Markt links und rechts begrenzen. Hier kann man sich ein bisschen vom großen Trubel erholen und in Ruhe vielleicht einen der berühmten runden Kuchen verzehren. Die Einheimischen sagen dazu Kolač (Kolatsch). Das spezielle Gebäck gehört zum Fest dazu. So ist der Brauch. Es wird in der Bäckerei von Marie Vondrovicova im nahegelegenen Bořetice gebacken. Während der drei Festtage fertigt die Meisterin mit 60 Frauen, die sie extra dafür in einem Schichtsystem einstellt, 11.000 solcher Köstlichkeiten. Der Teig wird ganz dünn ausgerollt. Darauf kommt süßer Quark, und verziert wird das Ganze mit einer Masse aus Mohn und Zwetschgen-Mus. Die Kuchen seien aber vor allem deshalb so lecker, weil viel Fett und viele Eier dafür verwendet werden, sagt die Bäckerin.
So gestalten die Choden ihr Fest zu einem Erlebnis für alle Sinne.