Der Luftkrieg auf Chemnitz

Der Luftkrieg gehörte im Zweiten Weltkrieg zu den barbarischsten Methoden der Kriegführung, wobei keine der kriegführenden Seiten von Schuld freizusprechen ist.

Nach Auswertung der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges erarbeiteten alle kriegführenden Seiten eine strategische Konzeption zum Einsatz der Luftwaffe gegen das feindliche Hinterland mit dem Ziel, die Basis der Frontversorgung des Gegners, seine Rüstungstreibstoff- und Ausstattungsindustrie zu zerstören und die Zivilbevölkerung zu demoralisieren.

Der „Türmer von Chemnitz“ informiert in seinem Heft 9, daß die allerersten Spreng- und Brandbomben auf Chemnitz in der Nacht zum 7. August 1940 im südlichen Vorgelände  der Stadt abgeworfen wurden, ohne jedoch ernsthaften Schaden zu verursachen. Die Stadt Chemnitz taucht als potentielles Angriffsziel erstmals in einem Memorandum der britischen Luftwaffe, der Royal Air Force (RAF) vom 25. September 1941 an Churchill auf. Vom Oktober und November 1941 liegen erste Aufklärungsergebnisse über wehrwirtschaftlich bedeutende Ziele der Stadt vor. 1942 wurde dann in einem Informationsblatt der britischen Luftwaffe klar definiert: „Chemnitz ist ein attraktives Ziel für einen Flächenangriff“. Dennoch findet es erst in der 2. Ausgabe des sogenannten „Bomben-Baedecker“ von 1944 mit 38 kriegswichtigen Zielen Aufnahme.

Ab 1944 wirkte sich dann der Luftkrieg auf Chemnitz direkt aus. Von Mai 19944 bis April 1945 sind elf mit Todesopfern verbundene Luftangriffe auf das Territorium der Stadt – eingeschlossen die 1950 eingemeindeten Vororte – verzeichnet. Der erste Angriff am Freitag, dem 12. Mai 1944, traf in der Zeit von 13.45 Uhr bis 14.35 Uhr Rabenstein und Rottluff. Es erfolgten Attacken von Bombern des Typs B-17 und B-24 sowie Lancaster und Halifax. Die US-Air Force, die amerikanische Luftwaffe, bombte am Tage, die britische Royal Air Force schlug nachts zu, besonders günstig durch den Umstand, daß Chemnitz ab November 1944 ohne Luftabwehr war.

Der erste größere Angriff erfolgte am 11. September 1944 zwischen 11.30 Uhr und 13.25 Uhr auf Siegmar-Schönau, gerichtet gegen eine wichtige Basis der Rüstungsindustrie – die Wanderer-Werke und die Auto-Union. In einem Bericht des Ersten Bürgermeisters von Siegmar-Schönau vom 17. September 1944 hieß es dazu: „In wenigen Minuten nach dem Angriff standen die Werksgebäude der Firma Wanderer-Werke und Auto-Union sowie eine Anzahl von Wohngrundstücken der Wanderer-Siedlung in hellen Flammen.“

Die Zahl der Toten lag bei insgesamt 110, davon allein in der Auto-Union bei 85, 44 Deutsche und 41 Ausländer (Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter). Das totale Grauen brach über die Stadt und ihre Menschen mit den Angriffen am 6. und 14. Februar sowie am 2., 3. und 5. März 1945 herein. Die Angriffe mit Luftminen, Phosphorkanistern, Spreng- und Brandbomben hatten zur Folge, daß Chemnitz am Ende des Zweiten Weltkrieges eine „tote Stadt“ war. Vorausgegangen war eine systematische Aufklärung, in deren Ergebnis Chemnitz Ende 1944 unter die 12 Städte des Deutschen Reiches eingeordnet wurde, die kriegsentscheidende Bedeutung besaßen. Am 26. Januar 1945 erging die Weisung, alle Kräfte der britischen Luftstreitkräfte auf Großangriffe gegen Berlin, Dresden, Leipzig und Chemnitz zu konzentrieren, um damit die Großoffensive der Roten Armee zu unterstützen. In ihrem Ergebnis wurden vom 6. Februar bis 11. April 1945 Angriffe gegen Chemnitz geflogen, bei denen durch insgesamt 2.881 Bomber 7.716 Tonnen Spreng- und Brandbomben auf das Stadtgebiet abgeworfen wurden.

Die Bilanz der Luftangriffe war grauenvoll. Am 6. Februar wurden 136 Gebäude total zerstört, 102 schwer und 116 mittelschwer beschädigt. Dabei fanden 461 Menschen den Tod. Der 14. Februar brachte der Stadt drei Luftangriffe. 342 Tote waren das blutige Ergebnis. Am 2. und 3. März 1945 brachten zwei Tagesangriffe der Stadt Tod und Verderben. Unter dem erschütternden Fazit von 570 Toten ragt der Tod von 39 Kindern, das jüngste gerade zwei Monate alt, im Kinderheim Bernsdorf und die Bombardierung eines Flüchtlingszuges mit Frauen und Kindern auf dem Bahnhof Siegmar heraus.

Das endgültige Inferno kam mit dem 5. März 1945. 950 Bomber der US-Air Force und der Royal Air Force brachten im Tag- und Nachtbombardement Tod und Verderben mit der Konsequenz von 3.326 total zerstörten bzw. schwer beschädigten Gebäuden und 2.105 Toten.

Die alliierten Luftangriffe auf Chemnitz im Zweiten Weltkrieg bildeten eine entscheidende Zäsur für die Industriemetropole, da durch sie die physische Existenz der Stadt gänzlich in Frage gestellt war.

aus VS Aktuell 1/2000, erschienen im  VS Aktuell 1/2000 Aus der Stadtgeschichte