Die Turbulenzen um das neue Filmtheater in der Stadtgalerie "Roter Turm" werfen die Fragen auf, wie es früher um das Kino in Chemnitz bestellt war. Deshalb soll heute einmal seiner über 100-jährigen Geschichte nachgegangen werden. Am 6. November 1896 vermeldete das "Chemnitzer Tageblatt", dass tags zuvor im Mosella-Saal (heute Terrain Kaufhof Bahnhofstraße) durch einen Herrn Julius Reichenbach aus Hannover eine Vorführung "lebender Fotografien" stattgefunden und großes Interesse erweckt habe. Ein knappes Jahr später, am 12. September 1897, projizierte der Chemnitzer Fotograf Clemens Seeber - ebenfalls im Mosella-Saal - mit seinem Taumatograph Filmstreifen von 10 bis 20 Meter Länge auf eine 12 Quadratmeter große Projektionswand. Clemens Seeber gab sich jedoch mit der Vorführung fremder Filme nicht zufrieden. Er ging bald daran, eigene zu schaffen. Seine erste Vorführung eigener Filme fand am 16. September 1898 wiederum im Mosella-Saal statt. Das "Chemnitzer Tageblatt" vom 18. September 1898 schrieb dazu: "Die größtenteils aus dem Chemnitzer Straßenleben gegriffenen beweglichen Bilder sind in der Tat von außerordentlichem Interesse, zumal es Herr Seeber vorzüglich verstanden hat, für unsere Stadt besonders charakteristische Momente für seine Aufnahmen zu wählen.'' Dazu gehörten z.B. das "Ausrücken der Chemnitzer Feuerwehr" oder der "Lokomotivtransport der Sächsischen Maschinenfabrik zu Chemnitz". Das "Chemnitzer Tageblatt" vom 29. Januar 1899 pries einen Film Seebers mit einer Laufzeit von 10 Minuten, der aus einer fahrenden Straßenbahn heraus gedreht worden war, als den bis dahin längsten in Deutschland gedrehten.
Ein "Kunst-Institut ... der Belehrung, Unterhaltung und Wissenschaftsgewichtung" eröffnete am 15. Januar 1910 in der Poststraße 27 (heute Kaufhofbereich Bahnhofstraße) mit dem Apollo-Theater seine Pforten. Zu seinem Repertoire gehörten auch „lebende Fotografien in höchster Vollendung“. Es bestand bis 1913. Das erste ständige Chemnitzer Filmtheater wurde am 18. Juli 1910 unter dem Namen "Seeberograph-Lichtspiele" in der Äußeren Johannisstraße (heute etwa im Bereich der Einmündung der Zschopauer Straße in die Bahnhofstraße) eröffnet.
Die ersten Vorstellungen fanden im Hinterhaus statt. Der Eintritt betrug 10 Pfennig. Die Vorstellungen fanden regen Zuspruch. Dicht gedrängt standen die Zuschauer im Vorführungsraum. Daraufhin wurde die Vorführung der Filme in das Vordergebäude verlegt. Ab 1. Januar 1936 führte das Kino den Namen "Johannis-Lichtspiele". Im Jahre 1913 wurde auf dem Holzmarkt (heute Rosenhof) das "Apollo-Filmtheater", der spätere "Regina-Palast" eröffnet. Ein Kino im Mini-Format, die "Weiße Wand" mit 198 Plätzen entstand im gleichen Jahr an der Augustusburger/Clausstraße. Es überlebte den 2. Weltkrieg, musste aber dann Anfang der 70er Jahre dem Bau der neuen Straßenbahntrasse nach Gablenz weichen. Ein anderes Mini-Kino, das "Zeitkino Biograph" existierte in der heutigen Straße der Nationen.
Zu Beginn des 1. Weltkrieges gab es in Chemnitz bereits 13 Filmtheater und 1933 besaß Chemnitz 19 Lichtspielhäuser mit 11.000 Plätzen. Allein am Markt gab es drei Kinos. Davon zeugt heute allerdings nur noch das Gebäude des einstigen "Filmecks", MarktBretgasse, in dem sich heute das Café „Markt 4“ befindet. Im Jahre 1927 wurde das 1913 als Hotel und Varieté erbaute „Metropol“ in ein Filmtheater umgewandelt. 1945 ausgebombt, erfolgte seine feierliche Wiedereröffnung in der Zwickauer Straße 11 mit 600 Plätzen am 22. April 1947. Es ist bis heute in Betrieb. Nach der Wende wurde es von der Ufa übernommen. Seit dem 3. September ist es jedoch im Besitz des Hamburger Sparpreiskinos KKE, das am 9. November 1999 den 150.000 Besucher verzeichnen konnte. Ein besonders ereignisreiches Jahr in der Eröffnung neuer Spielstätten mit neuesten kino- und tontechnischen Anlagen - so genannte Großkinos – war das Jahr 1929. Das war vor allem dem Tonfilm geschuldet, der seinem Siegeszug angetreten hatte. Im März dieses Jahres erfolgte die Eröffnung des "Luxor-Palastes" in der Hartmannstraße 11 mit 1.600 Plätzen. Im September 1929 erfolgte mit Dieterles „Frühlingsrausch“ die Eröffnung des Filmpalastes „Roter Turm“ in der Herrenstraße 22-24 (heute im Bereich des Mercure-Hotel Kongress) mit 1000 Plätzen und im Oktober 1929 die „Schauburg auf der Augustusburger Straße 31 mit 1200 Plätzen und einem Bühnenhaus für Theateraufführungen und Konzerte. Die letzten beiden Großkinos wurden von dem bekannten jüdischen Architekten Bruno Kalitzky errichtet. 1933 kamen an Großkinos noch die "Europa-Lichtspiele" in der Hainstraße 36 mit 951 Plätzen hinzu. Sie waren entstanden durch die Umgestaltung der einstmaligen Gaststätte "Goldene Kugel".
Die Luftangriffe auf Chemnitz richteten schwere Zerstörungen unter den Filmtheatern an. Es blieben nur ganze fünf erhalten. Im ehemaligen Gasthof "Krone" in Gablenz wurde dann das sechste, das „Weltecho“ eingerichtet. Seine erste Vorstellung lief am11. Februar 1946.
Gegenwärtig wird es zu einem christlichen Jugendzentrum "Arche“ umgestaltet, da es die Ufa AG, die es nach der Wende übernahm, inzwischen wieder aufgegeben hat. An besonderen Ereignissen bis zur Wende 1989/1990 sind auf dem Gebiet des Films in unserer Stadt noch zu nennen: die Einweihung der Freilichtbühne im Küchwald mit 4.500 Plätzen im Jahre 1960, der Beginn der Sommerfilmtage 1963 und die Eröffnung des ersten Jugendfilmtheaters der DDR in der ehemaligen "Filmschau" in Hilbersdorf.
Unter den Bedingungen der Marktwirtschaft veränderte sich die Kinolandschaft wieder grundlegend. Zur Zeit ist es noch immer kein abgeschlossenes Kapitel.
Vielleicht regt dieser Beitrag auch manchen Leser an, einmal seine eigenen Erinnerungen an das Kino von gestern aufzuschreiben und damit zu helfen, die Kinogeschichte zu bereichern.