Der selbst gebackene Kuchen ist aufgeteilt, der Kaffee ausgeschenkt. Irene Keller erhebt sich und läutet mit einem Porzellanglöckchen. Wenn sich 19 Frauen zwischen 62 und 89 Mittwoch nachmittags im soziokulturellen Zentrum "Querbeet", Rosenplatz 4 zur gewohnten Begegnung versammeln, muss man sich schon ein bisschen Ruhe verschaffen, um etwas mitzuteilen.
Zuerst dankt die Hauptkassiererin der Wohngruppe 293 (an der Bernsdorfer und der Wartburgstraße) der Kuchenspenderin Luise Zeun. Danach geht sie das Programm für die nächsten Wochen von der zweiten Septemberhälfte bis Dezember durch, kontrolliert noch einmal die Teilnehmerzahlen zur Wanderung nach Einsiedel, zum Weinfest in der Begegnungsstätte Horststraße, zur Fahrt nach Augustusburg. Sie reagiert auf Zurufe, wenn jemand gestrichen oder neu zu einer Veranstaltung mitgenommen werden will. An die Listensammlung der Volkssolidarität bis Ende September erinnert sie ebenso, wie an die Veranstaltung des Stadtverbandes "Buntes Herbstlaub“ Anfang Oktober. Frühzeitigen Planerinnen beantwortet sie Fragen nach Ort und Zeit der Weihnachtsfeier. Die Atmosphäre ist aufgelockert. Irene Keller spricht mit den Händen wie eine Lehrerin. Kein Wunder. Das ist der Beruf, den die im Dezember 1922 geborene Chemnitzerin nach dem Abitur an der hiesigen Vorstudienanstalt in Leipzig von 1950 bis 1954 studiert hat. Bereits als Kind begeisterte sie sich
für Literatur, war als junges Mädel Mitglied eines Theatervereins, schwärmt für die Klassiker. Darum musste es für die ehemalige Kontoristin das Germanistikstudium sein. Als Oberstufenlehrerin für Deutsch und Geschichte hat sie jedoch in den 50-ziger und 60-ziger Jahren fast alle Fächer gegeben. Karow im Bezirk Schwerin, unweit vom Plauer See und das nahe Hartmannsdorf waren erste Wirkungsstätten.
Zuletzt ist sie bis 1990 vorwiegend als Lehrerin und Internatsleiterin an der Betriebsschule der Feinwäsche "Bruno Freitag", Limbach-Oberfrohna tätig gewesen. „Ich habe den Lehrerberuf sehr geliebt", sagt sie von sich. Vermutlich färbte das auch auf die Tochter Wernhild ab, die heute an einer Leipziger Fachhochschule Mathematik und Physik lehrt. Gern besucht Mutter Irene die Familie der Tochter in der Messestadt. Ansonsten unternimmt sie aber keine länger dauernden Reisen. Sie ist eigentlich immer da, sagt sie - seit etwa zehn Jahren vor allem für die Volkssolidarität, der sie schon gut vier Jahrzehnte angehört. Von Frauen der I Wohngruppe erfährt man, dass sie sich sehr um Kranke und Behinderte kümmert. Die Funktion der Hauptkassiererin übernahm sie 1992, weil die Vorgängerin aus Chemnitz weggezogen ist. „Wir haben damals gefragt wer helfen will“, erinnert sich die langjährige aktive Vorsitzende der Gruppe Erika Grämer (83). „Irene hat sich gemeldet und ich dachte, sie wird sich gewiss schnell reinfitzen.“ Im Laufe der Jahre haben sich beide Frauen angefreundet. So ergab sich, dass Irene mehr und mehr die Auf gaben von Erika übernommen hat, seit diese in den letzten zwei bis drei Jahren gesundheitlich immer schlechter gestellt ist. Die Jüngere lobt die gute Zusammenarbeit mit den Frauen von "Querbeet", ebenso die mit der Nachbarwohngruppe 296 unter der Vorsitzenden Lilo Schwander. Wanderungen und Ausfahrten unternehmen beide Gruppen oft zusammen. Neben ihrer Funktion als Hauptkassierer holt Irene Keller die Beiträge von 19 ihrer 82 Mitglieder selbst. Hierbei ergibt sich mancher Schwatz über Alltagssorgen und -freuden. Die Frauen ihrer Gruppe mögen sie, vielleicht weil Irene selbst tolerant und auf Harmonie bedacht ist. Vielleicht auch, weil das Goethewort: „Die Tätigkeit ist, was den Menschen glücklich macht ...“ voll auf sie zutrifft.