Vor fünf Jahren bezogen die ersten Mieter der Seniorenwohnanlage Bernsdorf des Chemnitzer Stadtverbandes der Volkssolidarität Zschopauer Straße 169 ihre Wohnungen. Die Anlage hat ein interessantes historisches Umfeld. Die Zschopauer Straße war schon von alters her ein Bestandteil des „Antiqua Boemica Semita“ - des alten Steiges nach Böhmen, der bereits um 981 bezeugt wurde. Der viel befahrene Handelsweg war einer der ältesten, der Prag und Wien verband. Deshalb wurde er auch lange Zeit im Volksmund „Wiener Straße“ genannt. Mit dem Approbationsreskript (Zuordnungsbestimmung) vom 23. November 1816 erhielt der Verkehrsweg, der zugleich auch dem Postverkehr diente, den Status einer „Königlichen Landstraße“. Nunmehr wurde er chausseemäßig ausgebaut, befestigt und erhielt die heutige Führung. Die Baumaterialien dazu stammten aus dem ältesten Chemnitzer Steinbruch am jetzigen Lutherkirchplatz. Die Kosten wurden u. a. durch Wegezoll aufgebracht, wozu sich auf der Höhe der heutigen Turnstraße auf freiem Feld ein Chaussee-Einnehmer-Häuschen befand. Eines der ersten Gebäude an der Zschopauer Straße war das späterhin beliebte „Baums Ball- und Konzerthaus“. Zunächst war es nur ein Vorwerk mit Ausschankgenehmigung, das außerhalb der Stadt zwischen Wiesen und Feldern gelegen war. Den Blick auf Chemnitz von dieser Stelle hat A. Balzer um 1813 in einer Zeichnung festgehalten. Das Vorwerk pachtete in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts J. Georg Heusinger. Er durfte „Musik und Tanz halten mit Vorbewußt des Rates“, einen Tanzsaal in dem Seitengebäude einrichten, eine Kegelbahn erbauen. Seine Wirtschaft mit dem schönen Saale, dem schmucken Gastzimmer, dem Kaffee- und Konzertgarten ward besuchter Vergnügungsort, der regelmäßige Ausflugsort nachmittags 1 bis 3 Uhr im Spätherbst, Winter und Frühling, wo die Chemnitzer freie Luft und eine Tasse Kaffee genossen. Aus dem beliebten „Heusingers Hof und Kaffeegarten“ wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „Baums Ball- und Konzert-Etablissement“. Nach C. Baums Tode führte die Witwe das Geschäft weiter. Als Wirte sind weiter verzeichnet: Gustav Büttner, Louis Uhlig und August Pöschel. In der allseits beliebten Erholungs- und Vergnügungsstätte an der Zschopauer Straße fanden auch große gesellschaftliche Festivitäten statt. So vermeldet eine Annonce: „Zur Feier Ihrer Majestät der Königin Carola von Sachsen am 5. August 1898: Großes Monstre-Pracht-Feuerwerk, verbunden mit einem patriotischen Concert der gesammten Kapelle des 104er Regiments“. Nach dem Ersten Weltkrieg ging das beliebte Restaurant und Ballhaus „mit dem schönsten staubfreien Garten der Umgebung von Chemnitz“ in den Besitz der Schlossbrauerei über. Nach deren Enteignung wurden „Baums“ Eigentum des Landes Sachsen. Am 19. Dezember 1946 erfolgte die Neueröffnung des gastronomischen Objektes als „FDGB-Gaststätte“ (Großgaststätte), des Ballsaales als „Ballhaus Süd“. Der Informationsdienst der Stadtverwaltung meldete für die bitterkalten Monate Januar-Februar 1947, dass die Gaststätte auch als Wärmestube diente, die täglich von durchschnittlich 500 Personen aufgesucht wurde. Im Ballhaus „Süd“ fanden Großtanzabende mit bekannten Kapellen, wie z. B. Hans Höckner, Henry Kaden, Karl Schmidt und Karl Walther statt. Das Objekt diente aber auch politischen und kulturellen Veranstaltungen der Parteien und Massenorganisationen. Doch der Zahn der Zeit führte zur Baufälligkeit und letztendlich zum Verschwinden eines ungewöhnlich populären gastronomischen Zentrums unserer Stadt, mit dem sich für viele ältere Bürger auch heute noch Erinnerungen an ihre Jugend verbinden.
Auf historischem Boden
aus VS Aktuell 1/2004, erschienen im VS Aktuell 1/2004 Aus der Stadtgeschichte