Eintauchen in die Welt der Stars mit bunten Schlagermelodien. Dazu sind an einem Frühlings-Mittwochnachmittag Frauen und Männer der Wohngruppe 027 in die Begegnungsstätte Clausstraße gekommen. Hits vergangener Jahre wie „Weiße Taube Sehnsucht...“, „Erst ein Cappuccino...“ oder „So schön kann doch kein Mann sein...“, angekündigt von Ines Bethge und vorgetragen von ihrem Playbackteam aus der Begegnungsstätte Limbacher Straße, versetzen das Publikum in gute Laune. Alle sieben Akteure ernteten viel Beifall. Bravo-Rufe gibt es unter anderem für Ursula Tautrims Auftritt als Severine aus Frankreich mit dem Stimmungsmacher „Jetzt geht die Party richtig los...“. Sie trägt dazu eine schwarze Kombination mit roten Rosen und einen grellfarbigen Blumenkranz um den Hals. Mit dem Mikrofon zwischen den Tischen tanzend verteilt sie bunte Luftballons und streut Konfetti. Jeder merkt, es macht ihr selbst Spaß. „Ja, sie ist ein lebensfroher, optimistischer Mensch, und diese Haltung überträgt sie auf ihre Umgebung“, charakterisiert Ines Bethge das Mitglied ihres Klubrates. In dem Gremium arbeitet Ursula Tautrim seit 2006 aktiv mit. Wenn es in der Limbacher um das Dekorieren des Saales für Veranstaltungen geht, ist sie dabei. Für den Weihnachtsmarkt-Tag in der Begegnungsstätte hat sie stundenlang warme Socken gestrickt und Topflappen, die wie kleine Kleider aussahen. Weihnachts- und Frühlingsgestecke arrangierte sie, bastelte dreidimensionale Glückwunschkarten, und für den Osterbasar häkelte sie Entenküken. Dazu kommen immer wieder die Playback-Auftritte, auch als Helga Hahnemann, das fröhliche Sachsenkind Friedlinde oder als UFA-Star Hildegard Kneef. Mit anderen Mitgliedern der Tanzgruppe von Rita Nentwich bringt sie seit mehr als drei Jahren jeden zweiten Donnerstag Seniorinnen und Senioren bei, wie man sich durch Foxtrott, Charleston, Rumba oder Walzer noch harmonisch und flott in Bewegung hält. Ständig in Bewegung ist Ursula seit 24 Jahren auch als Leiterin der Wohngruppe 071 am Kaßberg. Gewann sie noch bis vor kurzem Mitglieder für Ausfahrten zur Toscana-Therme in Bad Sulza oder nach Halle in die „Halloren“-Fabrik, so geht es jetzt hauptsächlich um die Teilnahme an Veranstaltungen in der Begegnungsstätte und um Nachbarschaftshilfe. Der Altersdurchschnitt der Wohngruppe beträgt 88 Jahre. „Wenn ich meine Strecke zum Kassieren der Beiträge ablaufe, habe ich immer zwei große Beutel dabei, einen mit Kurzwaren und einen mit Gemüse“, erwähnt sie. „Diese kleinen Aufträge von den älteren Leutchen erfülle ich aber gern.“ Und so oft es geht nimmt sie ihre Nachbarin Lotte Zeh aus der Uhlichstraße mit zum Einkaufen in die ERMAFA-Passage. Die 86jährige soll in Bewegung bleiben, nachdem sie vor längerer Zeit eine Hüftoperation überstanden hat. Die Betreuung von kranken Mitgliedern ist für Ursula Tautrim selbstverständlich, genauso wie die Unterstützung für ihre alte Tante Susanne in Gablenz, um deren Haushalt sie sich jeden Freitag kümmert. Bei ihr umfasst der Begriff Familie eben mehr als Sohn Jürg (49), Tochter Kitty (36) und deren Angehörige. Und immer hatte sie in ihrem Ehrenamt für die Volkssolidarität viel Unterstützung von ihrem Mann Horst, der jedoch vor vier Jahren verstorben ist. In der Gemeinschaft für die Gemeinschaft da zu sein, das hat Ursula schon von der Mutter und der Großmutter gelernt. Als Halbwüchsige sorgte sie mit für zwei jüngere Schwestern, lernte von der Oma Ida Kochen und Handarbeiten. Ihr Wir-Gefühl stärkte sich auch bei Gesang und Tanz im Jugendensemble „Philipp Müller“ des Industriewerkes. Dort hatte sie 1953 eine Mechanikerlehre begonnen und sich später zur Industriekauffrau qualifiziert. In anderen Betrieben und Einrichtungen, so in der Hochbauprojektierung und im Pionierhaus „Juri Gagarin“, bewegte sie als Verwaltungsleiterin im Kollektiv vieles zum Guten. Auf den guten Weg in die Volkssolidarität hat sie erst in diesem Frühjahr einen älteren Mann gebracht. Über das Zufallsgespräch in einem Rosenhof-Geschäft schmunzelt sie noch immer. Er offenbarte ihr, daß er gern Karten spielen oder mit einer Gruppe wandern würde, und sie riet ihm zur Begegnungsstätte Zschopauer Straße, in deren Nähe er wohnt. Anfang April brachte der Opa Viehweger einen großen Tulpenstrauß in die Limbacher Straße mit den Worten: „Die Frau Tautrim hat mich aufgefangen. Jetzt weiß ich, wo ich hingehöre.“