Eva Unger

Bevor man das große Wohnzim­mer im Haus von Eva und Eber­hard Unger, ziemlich am Ende der Erfenschlager Straße, betritt, fällt einem gleich links in einer Nische ein Spinnrad ins Auge. Mit Flachs­rocken und einem Fadenstück sieht es aus, als könne es jeden Mo­ment in Betrieb genommen werden. Zwar dient das schöne Stück nur als Schmuck, könnte aber gleichsam in zweierlei Hinsicht als Symbol gel­ten. Zum einen deutet es darauf hin, dass seine Besitzerin fleißig mit Fä­den, besser mit Textilien, zu tun hat oder hatte. Ja, ab und zu strickt oder häkelt die heutige Rentnerin für die Familie ihres Sohnes Alexander, die seit einigen Jahren bei Frankfurt am Main lebt.

Den Beruf einer Textillaborantin hat die in Rositz bei Altenburg gebore­ne Eva nach Beendigung der Ober­schule beim Deutschen Amt für Ma­terial- und Warenprüfung in Gera erlernt. Danach absolvierte sie von 1961 bis 1964 die Karl-Marx-Städ­ter Ingenieurschule für Textiltech­nik mit dem Abschluss einer Textil­ingenieurin. Zunächst arbeitete sie einige Jahre als Leiterin der Güte­kontrolle in dem für hohe Qualität bekannten VEB Feinwäsche Lim­bach-Oberfrohna. Später war sie in der VVB Trikotagen und Strümp­fe und bis Anfang 1991 im Kombi­nat Trikotagen Karl-Marx-Stadt als Gruppenleiterin für Forschung und Erzeugnisentwicklung beschäftigt. Von Berufs wegen hatte sie also im­mer mit Millionen Fäden aber eben­so mit vielen Menschen zu tun.

Und da kommt die andere Symbolik des Spinnrades zum Tragen. Schnell hat Eva Unger im Laufe ihrer Ent­wicklung gelernt, mit Personen ihrer Umgebung einen guten Faden zu spinnen. Das geht bei ihrem Mann Eberhard los, den sie seit dem ge­meinsamen Studium kennt und mit dem sie 42 Jahre verheiratet ist. Schon durch die halbe Welt ist sie mit ihm gereist. Zusammen mit einem anderen Ehepaar haben bei­de seit 1991 das Haus ausgebaut, in dessen einer Hälfte sie jetzt wohnen. Einen guten Faden hat die mittelgro­ße, schlanke Frau als Stadtverord­nete und als Bezirkstagsabgeord­nete der NDPD zum Wohle der Karl-Marx-Städter und der Einwoh­ner des Bezirkes gesponnen und spinnt ihn weiter, vor allem seit Be­ginn der 90er Jahre mit vielen Mit­gliedern und Verantwortliche der Volkssolidarität. Mehr als 40 Jahre gehört sie der „Soli“ an. Schließlich habe sie schon in den 60er Jahren das Anliegen ‚Miteinander – Fürei­nander’ als schön und richtig emp­funden. Heinz Winter, ein älterer Parteifreund, hatte sie bewegt, ein­zutreten.

Richtig zur Perfektion kam ihre Tat­kraft für den heutigen Wohlfahrts­verein aber nach der politischen Wende. Nach Auflösung ihres Kom­binats war sie 1991 zwei Monate arbeitslos. Im Sommer bekam sie dann eine ABM-Stelle bei der Volks­solidarität. Zunächst hat sie da als Koordinatorin für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, später als Perso­nalleiterin, die heutigen Strukturen des Stadtverbandes mit aufgebaut. Dazu gehören die Sozialstationen, das Pflegeheim Mozartstraße, die Begegnungsstätten, die Kindertages­stätten, die Zentrale Versorgungs­einrichtung. „Als ich damals anfing, hatte die Volkssolidarität in Chemnitz vielleicht ein Dutzend Beschäf­tigte“, sagt sie. „Zu Beginn des Jahres 2002, als ich in Rente ging, waren es über 200, die ich zur Einstellung vorgeschlagen hatte.“

Dabei war das Kapitel Volkssolidari­tät für Eva Unger zu dem Zeitpunkt noch lange nicht abgeschlossen. Ge­schäftsführer Andreas Lasseck frag­te sie damals, ob sie für den Stadt­vorstand kandidieren würde, und sie sagte sofort zu. „Ich wollte dem Verband, bei dem ich mit Anfang 50 wieder Arbeit gefunden hatte, auf diese Weise etwas zurückgeben“, begründet sie ihre Entscheidung. In­zwischen ist sie bereits zum zwei­ten Mal in das ehrenamtliche Gre­mium gewählt worden. „Ich halte das für günstig, wenn dem Vorstand Mitglieder wie Eva Unger angehö­ren, die den Verband gut kennen und daher sachkundig über die vorhandenen Mittel und Möglichkei­ten urteilen können“, meint And­reas Lasseck.

Und Sachkunde war von Eva und den anderen acht Vorstandsmitglie­dern in den zurückliegenden Jah­ren stets gefragt, so bei der Grün­dung von Tochtergesellschaften wie der EURO Plus Senioren-Betreuung GmbH und anderen. Ebenso bei Beschlüssen über Investitionen und Kredite von insgesamt 35 Millionen Euro für den Bau und die Ausstat­tung von Pflegeheimen unter Be­rücksichtigung sozialer Belange und der Wirtschaftlichkeit. Dabei pflegt Vorstandsmitglied Eva Unger ein gutes Verhältnis zu allen Vorständ­lern bei Beratungen und Beschlüs­sen, die den gesamten Stadtverband betreffen. Ohne dem geht es nicht, meint sie.

Gleichzeitig lässt sie die Verbindung zu den Wohngruppen nicht abrei­ßen. Besonders am Herzen liegt ihr die Beachtung der hochbetag­ten Mitglieder, deren Jubiläen die Wohngruppen dem Vorstand mit­teilen. „Wir haben Eva zu unserer Glückwunsch-Fee gemacht, und da­ran hat sie selbst Freude gefunden“, sagt Geschäftsführerin Ulrike Ullrich, die für die Mitgliederbewegung und das Wirken des Stadtverbandes zu­ständig ist.

„Wenn ich Neunzig- oder Hundert­jährigen die Gratulation des Stadt­vorstandes überbringe, freuen sie sich über die schöne Grußkarte, einen Blumenstrauß und ein kleines Geschenk“, erklärt Eva. Viel wichti­ger sei aber, dass die Jubilare wissen, der Stadtvorstand hat an sie gedacht. Schließlich komme es auf die Verbundenheit, die sich in den Gesprä­chen und kleinen Gesten ausdrückt, an. So habe ihr der hundertjährige Erich Höhne aus dem Heckert-Ge­biet im April stolz von seinem En­kel erzählt. Mit Erich Zirnstein in der Begegnungsstätte Zschopauer Stra­ße habe sie voriges Jahr, zu seinem 101. Geburtstag, über gemeinsame Bekannte aus der Textilbranche ge­plaudert, und eine 90jährige Frau erzählte ihr, wie sie noch ganz al­lein ihren Haushalt bewältigt. „Die­sen Faden“, sagt Eva Unger, „möch­te ich schon gern noch eine Weile weiter spinnen.“

aus VS Aktuell 3/2009, erschienen im  VS Aktuell 3/2009 Im Ehrenamt vorgestellt