Zuerst führt sie mich in ihr kleines Arbeitszimmer. Auf einem länglichen Tisch liegen zehn farbige, gestrickte Mützen, fünf Schals verschiedener Stärke, fünf Paar Socken, Handschuhe ohne Finger, wie sie bei Jugendlichen gerade in Mode sind, Stutzen für die Beine, Füß-linge weiß, blau, braun. „Das ist für Kinder und Jugendliche beim Chemnitzer KJF-Verein. Aber bis zum Spätherbst, wenn wir die Sachen übergeben, kommt noch viel mehr dazu“, sagt Elfriede Bor-kowski. Eigentlich habe alles mit dem VS-Journal angefangen erinnert sich die große, rüstige Seniorin mit der weißen Kurzhaarfrisur. Das sei im Jahre 2006 gewesen. In der zentralen Zeitschrift der Volkssolidarität habe sie damals über die Aktion des Landesverbandes Sachsen-Anhalt „Warme Schals für Kinder in Not“ gelesen. Stricken ist ein Hobby von Elfriede. Ehrensache, dass sie da mitmachte. Aber allein hätte es nicht allzu viel gebracht. So gewann sie noch zwei Mitglieder aus ihrer Wohngruppe 011 in Furth und eine weitere Frau aus dem Bekanntenkreis von früher für die Aktion. Mehr als 30 Schals und Mützen haben die vier damals gestrickt und vor Weihnachten nach Magdeburg gesandt. Burkhard Steinäcker, der Geschäftsführer des Anhalter Landesverbandes schickte ein herzliches Dankschreiben. „Ihre Schals sind mit vielen anderen während einer Weihnachtsfeier mit 60 Kindern unter heller Freude sozusagen ‚an den Mann’ gekommen“, heißt es darin. „Wir wünschen Ihnen alles Gute und weitere kreative Handarbeitsstunden.“
Seitdem hat der Gedanke, bedürftigen Kindern mit Stricksachen zu helfen, Elfriede Borkowski und ihre Gruppe nicht losgelassen. „Wir wollten uns damit vor allem für unsere Stadt nützlich machen“, sagt sie, suchte und fand 2008 schließlich Kontakte beim KJF. Der Verein Kinder-, Jugend- und Familienhilfe betreut in Chemnitz zehn Wohngruppen, Mädchen und Jungen im Alter von einem bis zum 18. Lebensjahr. Sie stammen aus sozial schwachen Familien. Für dieses Klientel fertigen nun die Strickerinnen ihre schönen warmen Sachen. Elfriede Borkowski hat für die Aufgabe inzwischen noch vier weitere Frauen gewonnen, so dass die Gruppe auf acht angewachsen ist. Einmal im Monat treffen sie sich, meist mittwochs, in der Sportgaststätte „Fortuna“. Bei Kaffee und Kuchen tauschen sie ihre Erfahrungen aus, sprechen über neue Muster, über Termine und übergeben Elfriede auch Fertiges, das dann auf den bestimmten Tisch im Arbeitszimmer kommt. In den Jahren 2009 und 2010 war die Menge so groß, dass drei Männer aus der Wohngruppe die Sachen mit dem Pkw in die Bernsdorfer Straße zum Sitz des KJF transportieren mussten.
Dank Elfriedes Bemühungen und der Bereitschaft vieler Helferinnen und Helfer ist bis jetzt auch das Material nicht ausgegangen. Mehrere Mitglieder der 011 haben Wolle gespendet. Die einen kauften das Garn. Andere wiederum entdeckten Knäuel, die irgendwo im Verborgenen schlummerten und haben sie übergeben. Schönster Lohn für alle Beteiligten war im vorigen Jahr der Auftritt von Kindern einer Heimgruppe mit einem selbstgestalteten Programm als Dank.
Mit der Hilfe für diese jungen Menschen wird Elfriede Borkowski auch noch ein bisschen ihrem zurückliegenden Berufsleben gerecht. Das Staatsexamen als Kindergärtnerin bestand die aus dem nordböhmischen Stary Mlynec Stammende nach zweijährigem Studium 1952 in Gotha. Da war sie 23 Jahre alt. Zuvor hatte sie schon länger als Gruppenhelferin gearbeitet. Stationen ihres über 40-jährigen Wirkens als Erzieherin und Leiterin waren der Kindergarten im erzgebirgischen Erla-Crandorf und das Waschgerätewerk Schwarzenberg, wo sie von 1960 bis 1961 den Betriebskindergarten einrichtete. Den Kindergarten der Stahlgießerei in Karl-Marx-Stadt/Borna leitete sie von 1961 bis 1989. So war sie die meiste Zeit ihres Lebens von Kindern umgeben, wenn auch ihr sehnlicher Wunsch, mit ihrem Mann Wolfgang eigene Kinder zu haben, nicht in Erfüllung ging.
Das Engagement für die Jüngsten hat sie stark geprägt. Außerdem half sie über die Jahrzehnte vielen Praktikantinnen mit ihren Erfahrungen zum schönen Beruf. Und sie zeigt die ihr eigene Einsatzbereitschaft auch gegenüber den Erwachsenenkreisen ihrer Umgebung.
Nach dem Tod des Mannes vor fünf Jahren hat sie sich nicht ins stille Kämmerlein vergraben, engagiert sich weiter für die Mitmenschen. „Sie hat Organisationstalent“, erkennt die Wohngruppenleiterin Christa Spitzer an und bezieht das vor allem auf Reisen, die Elfriede seit Jahren für Senioren organisiert. Und Wohngruppenmitglied Gerhard Hofmann schätzt sie als korrekt, offen und ehrlich und schwärmt da-bei noch immer von der diesjährigen Frühlingsfahrt ins Polenztal.