Wenn die Blase normal funktioniert, wird sie im Alltag kaum wahrgenommen. Erst wenn es zu einem unkontrollierbaren Harnverlust kommt, macht sie sich bemerkbar und schränkt die Betroffene im Alltag möglicherweise stark ein.
Was ist Harninkontinenz?
Harninkontinenz bedeutet, dass es zu einem unwillkürlichen Harnverlust kommt. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich dafür auch der Begriff „Blasenschwäche“ oder „schwache Blase“ eingebürgert. Diese Bezeichnungen sind jedoch ein wenig irreführend. Denn die Blase ist nicht unbedingt „schuld“ an einer Inkontinenz.
Ärzte unterscheiden verschiedene Formen der Harninkontinenz. Die drei häufigsten sind:
1. Belastungsinkontinenz (früher Stressinkontinenz genannt)
2. Dranginkontinenz
3. Mischinkontinenz = Mischform aus 1. und 2.
Es ist wichtig, dass der Arzt herausfindet, um welche Form von Inkontinenz es sich handelt – zum einen, um der Ursache auf die Spur zu kommen, zum anderen, um die individuell passende Therapie zu finden. Und die ist in vielen Fällen erfolgreich.
Inkontinenz ist ein sehr intimes und unangenehmes Problem. Viele Betroffene trauen sich deshalb nicht, in der Sprechstunde davon zu erzählen. Stattdessen leiden sie lieber im Stillen und versuchen, irgendwie zurecht zu kommen. Sie meiden womöglich Unternehmungen mit Freunden oder geben geliebte Hobbys auf. Manche Menschen glauben auch, es handle sich gar nicht um eine „echte“ Krankheit und es gebe ohnehin keine Behandlungsmöglichkeiten. Dabei existiert eine Reihe wirksamer Therapien, etlichen Patienten kann gut geholfen werden. Und Patienten gibt es viele: Allein in Deutschland sind mindestens fünf Millionen Männer und Frauen von Harninkontinenz betroffen. Etwa jede dritte Frau über 50 Jahre kennt das Problem. Es muss sich also niemand scheuen, den Arzt um Rat zu fragen.
Fakt ist: Das Risiko für eine Harninkontinenz steigt mit dem Lebensalter. Trotzdem handelt es sich nicht um eine unvermeidliche Alterserscheinung, mit der man sich abzufinden hat. Und auch in jüngeren Jahren kann bereits eine Inkontinenz entstehen, so zum Beispiel häufig nach einer Schwangerschaft und Entbindung, aber auch nach Unfällen oder Operationen.
Belastungsinkontinenz: Bei dieser Form kommt es zu einem unwillkürlichen Urinverlust, sobald sich der Druck im Bauchraum erhöht. Das ist zum Beispiel der Fall bei körperlicher Belastung wie dem Anheben oder Tragen schwerer Gegenstände, ebenso beim Husten, Niesen, Lachen oder Pressen. Der Urinverlust kann dabei sehr gering sein (wenige Tropfen), aber es kann auch zu einem Urinverlust im Strahl kommen. In sehr ausgeprägten Fällen geht Urin schließlich bei jeder Bewegung, schon beim Stehen oder sogar im Liegen ab. Typischerweise verspürt der Betroffene keinen Harndrang, bevor der Urin ungewollt verloren geht. Diese Form der Inkontinenz hieß früher auch Stressinkontinenz. Die Bezeichnung ist allerdings missverständlich. Denn das Wort „Stress“ bezieht sich in diesem Zusammenhang nur auf körperliche Belastungen, nicht auf seelischen Druck. Mediziner sprechen deshalb heute lieber von Belastungsinkontinenz.
Dranginkontinenz: Betroffene spüren immer wieder einen plötzlichen, übermäßig starken Harndrang, obwohl die Blase noch gar nicht voll ist. Oft schaffen sie es nicht mehr rechtzeitig zur Toilette. Der Urin geht schwallartig ab. Dieser überfallsartige Harndrang kann sehr häufig, manchmal mehrmals pro Stunde auftreten.
Mischinkontinenz: Symptome der Belastungsinkontinenz treten dabei gemeinsam mit Symptomen der Dranginkontinenz auf.
Damit die Blasenkontrolle reibungslos funktioniert, müssen Zentren in Gehirn und Rückenmark, beteiligte Muskeln und Nerven intakt sein und sinnvoll zusammenarbeiten. Zahlreiche Ursachen können das fein aufeinander abgestimmte System stören.
Verschiedene Arzneien können eine Inkontinenz fördern. Beispielsweise stimulieren manche Mittel – wie Betarezeptorenblocker gegen hohen Blutdruck oder Cholinesterase-Hemmer gegen Alzheimer-Krankheit – den Blasenmuskel, so dass eine Dranginkontinenz entstehen oder verstärkt werden kann. Diuretika („wassertreibende“ Medikamente) verschlechtern eine Inkontinenz eventuell, da sie den Körper veranlassen, mehr Flüssigkeit auszuscheiden. Ob es sich bei unfreiwilligem Urinabgang um eine Medikamenten-Nebenwirkung handeln könnte, sollte mit dem Arzt besprochen werden. Möglicherweise kann er ein geeigneteres Präparat verschreiben. (Achtung: Wirkstoffe nicht eigenmächtig absetzen!)
Manchmal hat eine Inkontinenz auch mit dem eigenen Verhalten zu tun: Wer zu häufig oder zu selten zur Toilette geht, tut seiner Blase nichts Gutes. Im ersten Fall kann sich die Blase an die kleinen Urinmengen „gewöhnen“, so dass sie irgendwann nicht mehr in der Lage ist, größere Mengen zu speichern. Im zweiten Fall wird die Blasenmuskulatur ständig überdehnt, was ihre Funktion stören kann.
Nicht zuletzt gibt es offenbar auch eine gewisse familiäre Veranlagung, die das Risiko für eine Inkontinenz erhöht.
Bei Inkontinenz gibt es keine pauschale Therapieempfehlung. Die Behandlung muss individuell angepasst werden – an die Ursache, die Art und das Ausmaß der Beschwerden, aber auch an die jeweilige Lebenssituation. Folgende Therapiebausteine kommen dabei zum Einsatz:
Beckenbodentraining
Vielen Patienten mit Belastungsinkontinenz, aber auch manchen Patienten mit Dranginkontinenz hilft es, ihren Beckenboden zu kräftigen. Das Training sollte unbedingt unter fachkundiger Anleitung erlernt werden, da es sonst womöglich falsch ausgeführt wird und nicht effektiv ist. Geeignete Ansprechpartner sind Physiotherapeuten. Aber auch Fitnessstudios, Sportvereine und Volkshochschulen bieten passende Kurse an. Wichtig ist aber immer eine gute Ausbildung der Therapeuten. Einzeltherapien kann der Arzt eventuell verordnen.
Schwangere sollten sich am besten an ihre Hebamme oder ihren Gynäkologen wenden. Ein individuell passendes Beckenbodentraining sollte nach Möglichkeit schon während der Schwangerschaft begonnen und nach der Geburt fortgeführt werden.
Übrigens: Regelmäßiges Beckenbodentraining kann auch helfen, einer Inkontinenz vorzubeugen.
Gewichtsabnahme
Übergewicht wirkt sich in vielerlei Hinsicht ungünstig auf die Gesundheit aus. Nicht zuletzt erhöht es das Risiko für eine Inkontinenz. Wer auf gesunde Weise – also langsam, mit einer ausgewogenen Ernährung und viel Bewegung – Pfunde abbaut, kann erreichen, dass sich Symptome bessern.
Verhaltensänderung
In manchen Fällen bewährt sich ein Blasentraining. Das Miktionsprotokoll bildet die Basis für ein „Toilettentraining“ mit sinnvoll angepassten Trinkmengen, einer geeigneten Getränkeauswahl und festen „Toilettenzeiten“. Zusätzlich lernen Betroffene kleine Tricks, mit deren Hilfe sich ein starker Harndrang mildern und das Wasserlassen hinauszögern lässt. Wichtig: Die geeigneten Maßnahmen sollten mit dem behandelnden Arzt besprochen und nicht in „Eigenregie“ geplant werden. So hilft es zum Beispiel nicht, wenn Patienten versuchen, möglichst wenig zu trinken – im Gegenteil. Erhält der Organismus zu wenig Flüssigkeit, können daraus zusätzliche Probleme entstehen.
Bei der Ernährung können Patienten versuchen, Stoffe zu meiden, die die Blase reizen könnten – zum Beispiel scharfe Gewürze oder Kaffee. Auf Nikotin sollte verzichtet und für eine geregelte Verdauung gesorgt werden.
Ungünstige Faktoren wie anhaltender Husten, schweres Tragen, wiederkehrende Harnwegsinfekte sollten – wenn machbar – durch eine Verhaltensänderung oder entsprechende Therapie beseitigt werden.
Medikamente
Manche Medikamente können als unerwünschte Nebenwirkung eine Inkontinenz verschlechtern oder sogar hervorrufen. In diesem Fall kann der Arzt eventuell ein geeigneteres Präparat auswählen. Achtung: Medikamente nicht eigenmächtig absetzen! Verschiedene Arzneien können die Symptome der Inkontinenz jedoch auch bessern:
Für Frauen steht ein Medikament mit dem Wirkstoff Duloxetin zur Behandlung der Belastungsinkontinenz zur Verfügung. Es handelt sich um einen Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer. Allerdings kann es zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen, zum Beispiel Übelkeit und Schwindel. Das Medikament sollte daher einschleichend (langsame Dosissteigerung) dosiert werden.
Bei Dranginkontinenz haben sich Anticholinergika bewährt. Sie dämpfen die Aktivität der Blasenmuskulatur. Bis sich eine Wirkung einstellt, kann es einige Wochen dauern. Daher wird empfohlen diese Medikamente mindestens über vier bis sechs Wochen einzunehmen, um ihre Wirkung bei dem einzelnen Patienten abschätzen zu können. Allerdings können auch diese Arzneien unerwünschte Nebenwirkungen verursachen wie Mundtrockenheit, Sehstörungen, Übelkeit, Herzrasen oder Verstopfung. Eine bestimmte Form des Grünen Stars und bestimmte Herzrhythmusstörungen können gegen die Einnahme sprechen.
Hilfsmittel
Es gibt eine große Auswahl an speziellen Inkontinenz-Hilfsmitteln wie Vorlagen in verschiedenen Saugstärken für Männer und Frauen, Einmalschlüpfer mit enthaltener Vorlage oder Inkontinenzslips. Das Kondom-Urinal ist eine Art Kondom, über das der Urin in einen Beutel geleitet wird, der zum Beispiel am Bein getragen wird.
Patienten sollten sich – zum Beispiel in der Apotheke – beraten lassen, welches Produkt am besten für sie geeignet ist. Ab einem gewissen Schweregrad können Hilfsmittel auch verordnet werden. Krankenkassen dürfen allerdings bestimmen, ob Hilfsmittel von einem ganz bestimmten Hersteller zu beziehen sind.
Mit normalen Monatsbinden sollten sich Betroffene lieber nicht behelfen, denn sie sind nicht für das Problem Inkontinenz konstruiert. So speichern sie meist nicht genug Flüssigkeit, halten die Haut nicht ausreichend trocken und können auch Geruch nicht so zuverlässig binden.