Ein Mensch kann klein sein und in der Menge kaum auffallen. Aber seine Talente, die er für die Gemeinschaft einsetzt, machen ihn groß. Jeden letzten Donnerstag des Monats treffen sich einige Seniorinnen zum Basteln, Falten, Kleben, Malen im Stadtteiltreff Limbacher Straße 71b. „Hobby-Werkstatt“ nennen sie ihre Zusammenkünfte. Mit kreativen Einfällen ist Ruth Schmitke dabei. Viele Anregungen für 3D-Glückwunschkarten, bunte Papierschmetterlinge und Käfer oder kleine Töpfereien bekamen und bekommen die älteren Semester unter anderem von ihr. In einer Schrankecke ihres Wohnzimmers steht ein kleiner Hase aus Ton mit riesigen Ohren, den sie an so einem „Werkstatt“-Nachmittag gefertigt hat.
Der Leiterin des Treffs, Ines Bethge, hilft sie mit ihren gut durchdachten Vorschlägen die Veranstaltungsreihe „Traditionelles Handwerk“ zu gestalten, aber nicht nur diese. So hat sie sich bei einer lustigen „Modenschau von anno dunnemals“ mit einem alten Festkleid in die „Schwarze Perle“ verwandelt, die dann auch noch ihr dunkelgrünes Unterkleid präsentierte.
Bereits im zurückliegenden Spätsommer berieten beide Frauen, was im kommenden Jahr so über die Bühne des Hauses gehen könnte. Sicher gibt Frau Ruth in der „Hobby-Werkstatt“ vor Ostern wieder Anleitung zum Bemalen von Eiern. Oder sie zeigt, wie allerlei Tischschmuck aus Papier und Pappe gebastelt werden kann. Zu den Veranstaltungsideen, die sie für 2012 hat, gehören Gesprächsrunden über historische Gaststätten, von denen sie viele kennt, dann zur Geschichte des Schirms oder der Handtaschen. Auch eine Reihe „Kleines Lexikon für Tierliebhaber“ hat sie vorgeschlagen. Die soll unter anderem Hunde, Katzen, Pferde, Zierfische und Zimmervögel behandeln.
„Frau Schmitke ist vielseitig interessiert und kann sich für alles begeistern“, urteilt Ines Bethge, die ihre Helferin schon über zehn Jahre kennt. „Und wenn sie einmal etwas nicht gleich weiß, hilft sie sich mit einem Lexikon weiter.“ Das ist kein Wunder. Der Umgang mit Büchern ist für die kleine schlanke Frau, die im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts in Essen geboren wurde, das halbe Leben. Davon zeugt unter anderem der große, gut gefüllte Bücherschrank in ihrem Wohnzimmer.
Vom ursprünglichen Beruf als examinierte Kindergärtnerin hat sie 1947 noch einmal umgesattelt und bis 1950 in der Stadtbibliothek Potsdam gearbeitet. Als Bibliotheksfacharbeiterin wirkte sie ab 1969 an der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt, bis sie diesen Beruf 1975 aufgab, um ihren schwer herzkranken Mann Alfred, einen hochqualifizierten Textilingenieur, zu pflegen. Beide, seit Jahrzehnten Mitglieder der Volkssolidarität, bezogen 1998 eine Wohnung im betreuten Komplex Limbacher Straße 71, die Ruth seit 2002 noch alleine bewohnt. Deshalb ist sie aber nicht allein.
Anderen helfen, sich um sie kümmern, ist ihr wesenseigen. So erledigt sie hin und wieder für die eine oder andere Hausbewohnerin Besorgungen – Nachbarschaftshilfe eben. Mit Rosemarie Geigenmüller unternimmt sie kleine Geh-Übungen, „weil sie einen Schlaganfall gehabt hat“. Enge Verbindung pflegt sie zur 95-jährigen Hildegard Kreißelmeyer. Mit ihr geht sie auch einkaufen, hilft ihr im Haushalt und mit der Behördenpost. Bei Veranstaltungen wird auch manchmal zusammen getanzt. Zum großen runden Geburtstag in diesem Jahr hat sie für die Hildegard sogar gedichtet, worüber die sich sehr freute.
Apropos Dichten – diese Ader habe sie wahrscheinlich von ihrem Vater, meint Ruth Schmitke. Der habe viele Gedichte gemacht. Sie selbst praktiziert das „Verse-Schmieden“ vor allem seit den 80er Jahren. Und im jetzigen Domizil hat sie jede Verabschiedung, ob von Ehrenamtlichen, ob von „Zivis“, mit einem gereimten Gruß begleitet. So schrieb sie für Carla Wabnitz im Herbst vorigen Jahres unter anderem: „Aber auf jedem Fest und jeden Fall/war sie mit der Kamera dabei/und schoß so allerlei/an schönsten Bildern,/die uns in Alben lustig schildern,/ wie wir gefeiert und gelacht/und so manchen Spaß gemacht.“ Dieses Hobby hat sie auch an die Familien ihrer drei Töchter Karin und Hiltraud (Zwillinge/60) sowie Ursula (57) weiter gegeben, ebenso das Basteln und das Gestalten von Bildern. In einer umfangreichen Chronik hält Ruth Schmitke vieles fest, was im Stadtteiltreff passiert. Darunter, wie ihre schöne Enkelin Sabine Jordan aus Dresden eine Flamenco-Vorstellung gab. In der Adventszeit aber will sie dann den großen Raum wieder mit einem weihnachtlichen Bild schmücken und zudem viele kleine Weihnachtsmänner auf die Tische stellen.