In der letzten VS Aktuell haben wir berichtet, wie wir zu einem Oberbürgermeisterkandidaten kamen. Am Anfang stand eine ungewöhnliche Idee, durch deren Umsetzung wir zumindest in Chemnitz erstmals eine Möglichkeit gezeigt haben, wie Bürger an der Suche nach einem parteienunabhängigen Kandidaten beteiligt werden können. Es ging uns also nicht darum, das Rathaus durcheinander zu bringen, sondern einen Beitrag zur in der Kommunalpolitik vieler Gemeinden als enorm wichtig gesehenen und kaum gelebten Bürgerbeteiligung zu leisten. Mit unserem Kandidaten zogen wir nun in den Wahlkampf …
Wahlkampf
Die finanziellen Mittel unserer Wählervereinigung sind im Vergleich zu den Parteien recht bescheiden. Für unsere Arbeit bekommen wir abgesehen von einem kleinen Zimmer im Rathaus und einer kleinen Aufwandsentschädigung für die Stadtratsarbeit, die noch nicht einmal die entstandenen Kosten deckt, keine finanzielle Unterstützung von der Stadt und auch nicht wie irrtümlich oft angenommen von der Volkssolidarität Chemnitz. Wir müssen unsere Finanzierung vollkommen alleine stemmen und sind daher auf Spenden angewiesen. Niemand von uns bekommt und verlangt Geld für seine Arbeit in der Wählervereinigung. Es ist reines ehrenamtliches Engagement, welches uns vorwärts treibt.
Während die Parteien die Straßenlaternen großflächig mit Wahlplakaten behangen haben, hielten wir uns eher zurück. Nur wenige Plakate haben wir in Auftrag gegeben und diese auch nur an wenige, ausgewählte Stellen gehangen. Das lag nicht nur am knappen Budget und dass wir selber die Plakate an den Masten hochgeschoben haben. Vielmehr sahen wir nicht ein, wie unsere Mitbewerber Wahlkampf für Wahlkampf die gleichen oder zumindest sehr ähnliche Wahlkampfversprechen aufzudrucken, die ohnehin nicht eingehalten werden. Dass Kitas mehr Geld brauchen und viele Schulen noch saniert werden müssen, ist uns schon seit Jahren klar. Es ist schon erstaunlich, dass die Parteien aller vier Jahre mit Plakaten daran erinnern, dass sie das Versprechen nicht einhalten konnten und dieses daher erneuern müssen.
Natürlich hatten wir noch ein Faltblatt, Handzettel, eine Internetseite, ein Facebook-Profil und ein Wahlprogramm für den Wahlkampf. Besonders haben wir uns gefreut, dass wir aufgrund einiger großzügigen Spenden das Wahlprogramm im Wochenblatt BLICK veröffentlichen und somit viele Haushalte in Chemnitz erreichen konnten.
Der eigentliche Wahlkampf unseres Kandidaten Hans-Jürgen Rutsatz bestand jedoch vorwiegend darin, sich an den zahlreichen Podiumsdiskussionen zu beteiligen, die im Vorfeld zur Wahl von verschiedenen Vereinen und Institutionen angeboten worden sind. Dort zeigte sich, dass er als „vollwertige“ Alternative den parteilich Privilegierten Wort und Stirn bieten kann. Ebenbürtig konnte er bei den vielfältigen Themen mit seinem Auftreten und eigenen Vorschlägen beweisen, dass er sich zu Recht bei den Bürgern für das höchste Amt der Stadt Chemnitz über unsere Wählervereinigung beworben hat. Zusammen mit einigen engen Mitstreitern habe ich ihn dabei begleitet und bin überzeugt, dass wir wesentlich mehr Menschen erreicht hätten, wenn mir die „verrückte Idee“ schon wesentlich eher gekommen wäre.
Die Ost-West-Barriere
Hinzu kommt, dass sich viele Chemnitzer eine Barriere zu unserem Kandidaten selber aufgebaut haben. Dafür genügte, dass Hans-Jürgen Rutsatz kein gebürtiger Chemnitzer ist und „zudem“ noch aus den alten Bundesländern stammt. Wie kurzsichtig viele doch ihre Mitmenschen einstufen, nur weil man gehört hat, dass sie nicht „hiesige“ sind. Manche sprechen aus diesem Grund einfach derjenigen Person die erforderlichen Kompetenzen ab, ohne sich wirklich selbst ein Bild von diesem Menschen gemacht zu haben.
Diese Erkenntnis nach über 20 Jahren wiedervereintes Deutschland berührt mich persönlich schon sehr. Sind es nicht „unsere“ Leute, die den „Wessis“ immer wieder vorhalten, dass sie die Menschen aus dem Osten gesellschaftlich herabstufen und die erbrachten Leistungen nicht gleichberechtigt würdigen. Die dringende und längst überfällige Angleichung der Lohn-und Rentenbezüge wird von uns allen eingefordert. Und die Enttäuschung und Wut darüber, dass es noch immer nicht von den Politikern umgesetzt wurde, ist verständlicherweise groß. Jedoch finde ich es befremdlich, dass Menschen, welche bei uns eine neue Heimat gefunden und auch ihre Kinder hier großgezogen haben, nicht als engagierte Mitstreiter anerkannt werden. Sicher hat mancher in der Nachwendezeit viele Enttäuschungen erlebt, aber kann man deswegen eine Art „Sippenhaft“ für alle Zeit aufrecht halten und allein am Geburtsort eines Menschen bestimmen wollen, wie sein Charakter und seine sozialen Kompetenzen sind? Ich nehme mir heraus, darüber kräftig meinen Kopf zu schütteln!
Das Wahlergebnis
Die Wahl am 16. Juni ist eindeutig gewesen. Barbara Ludwig (SPD) konnte ihren Amtsinhaberbonus nutzen und hat ihre Wähler bei einer recht niedrigen Wahlbeteiligung von 40,68 % mobilisieren können. Hans-Jürgen Rutsatz hat mit 2,18 % der Stimmen immerhin 1.780 Chemnitzer von sich überzeugt.
Der 2. Wahlgang
Obwohl das Ergebnis vom 16. Juni ein klares Zeichen für die amtierende Oberbürgermeisterin gewesen ist, erreichte sie nicht die notwendige absolute Mehrheit, ein zweiter Wahlgang wurde erforderlich. Erstaunlicherweise traten die Kandidaten von DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP nicht mehr an und brachten damit viele ihrer Wähler in eine Bredouille: Wen sollen sie nun am neu angesetzten Termin 30. Juni wählen? Welche Alternative bleibt, wenn man nicht die Amtsinhaberin von der SPD oder den CDU-Kandidaten wählen möchte? Martin Kohlmann, von der rechtspopulistischen Wählervereinigung Pro Chemnitz, hätte dann nur noch auf dem Wahlzettel gestanden, wenn sich nicht Hans-Jürgen Rutsatz noch einmal für die Wahl aufgestellt hätte. Oder eben nicht wählen gehen, und dass schon bei einer ohnehin geringen Wahlbeteiligung.
Eine demokratische Alternative bieten – das ist der Grund gewesen, noch einmal zur Wahl anzutreten. Dabei ist uns klar gewesen, dass unser Kandidat diese nicht gewinnen kann und Stadtoberhaupt wird. Wir wollten die Bürger motivieren, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. So hatten all diejenigen, die mit der Politik der Amtsinhaberin nicht einverstanden sind, ihr Kreuzchen aber auch nicht bei Ralph Burghart und erst recht nicht bei Martin Kohlmann setzen wollten, doch noch eine Möglichkeit.
Das Angebot wurde auch genutzt, wovon das Wahlergebnis zeugt. Bei 31,75 % Wahlbeteiligung entfielen mit 2.573 Stimmen 4,05 % auf Hans-Jürgen Rutsatz.
Fazit: Auf zur nächsten Wahl!
Was manche aufgrund falscher Vorstellungen oder auch in einigen Fällen gezielt unseriöser Berichterstattung als Gag werteten, brachte eine parteienunabhängige wählbare Alternative hervor. Das war und bleibt unser Ziel und das haben wir auch erreicht. Ob die Nachwirkung solange anhält, dass wir damit auch unsere Zielstellung weiter voranbringen können, wird sich zur nächsten Kommunalwahl am 25. Mai 2014 zeigen. Dann wird in Chemnitz ein neuer Stadtrat gewählt werden und wir werden dann wieder einige Kandidaten zur Wahl stellen.
Die OB-Wahl 2013 ist dafür eine gute Vorbereitung gewesen. Ein Programm ist entstanden, welches eine sehr gute Grundlage für die Wahl im nächsten Jahr ist. Wir haben uns mit wichtigen Themen intensiv beschäftig und vor allem viele neue Mitstreiter gefunden. Gemeinsam sollte es uns gelingen, diesmal in Fraktionsstärke in das Rathaus einzuziehen und dort auch eine Fraktion zu bleiben.
Das Pflänzlein Wählervereinigung ist in den letzten Monaten ein ganzes Stück gewachsen. Viele neue Zweige haben sich gebildet. Wer Interesse an einer Mitarbeit in der Wählervereinigung hat, kommunalpolitisch aktiv werden möchte und auch Kompetenzen mitbringt, der sollte sich bei uns melden. Denn nun soll aus dem Pflänzlein ein starker Baum werden.