Wider die Tbc

Aus den Annalen des Chemnitzer Gesundheitswesens

Tuberkulose, im Volksmund auch Schwindsucht genannt, bildete im 19. Jahrhundert ­– besonders unter der Arbeiterbevölkerung, infolge unzureichender sozialer Verhältnisse und Fehlen entsprechender medizinischer Versorgung – eine reguläre Volksseuche. Im entschlossenen Kampf gegen diese „Krankheit der Armut“ wurde unsere Stadt vor 120 Jahren weit über ihre Grenzen hinaus bekannt. Diesem Kampf verschrieb sich in erster Linie der promovierte Jurist Alfred Walter Oertel. Ihm zu Ehren trägt heute eine Straße auf dem Kaßberg seinen Namen.

Auf Initiative von Dr. Walter Oertel erfolgte mit prominenten Persönlichkeiten der Stadt am 23. November 1905 die Gründung des „Vereins zur Bekämpfung der Schwindsucht in Chemnitz und Umgebung e. V.“. Sein Ziel war die „planmäßige Bekämpfung“ der schrecklichen Krankheit. Neben der Aufklärung über das Wesen dieser Geißel, die besonders in den Arbeitervierteln Sonnenberg, Brühl und Schloßchemnitz auftrat, suchte der Verein ihr vor allem durch soziale Maßnahmen Einhalt zu gebieten.

So wurde am 2. Mai 1906 im Alten Rathaus ein „Auskunfts- und Fürsorgestelle für unbemittelte Lungenkranke“ eingerichtet. Sie war die erste Einrichtung bei der Bekämpfung der Tbc in Sachsen. Von 1907 bis 1918 war sie in der Theaterstraße untergebracht und danach im vereinseigenem Haus Helenenstraße 26. Ihr stand die Ehefrau von Dr. Walter Oertel, Oberschwester Helene Oertel, vor. Die Auskunfts- und Fürsorgestelle diente der Ermittlung tuberkulosegefährdeter und -erkrank­ter Menschen sowie der Beratung für entsprechende Fürsorgemaßnahmen.

Am 4. Mai 1911 weihte der Verein auf Bornaer Flur eine Walderholungsstätte ein. Sie wurde von dem Stadtbaumeister K. Wilhelm ­Luthardt mit einem Kostenaufwand von 105.000 Mark eingerichtet. Sie verfügte über 72 Plätze für Männer und Frauen und 68 Kinder. Die Kur-Dauer währte 4 bis 6 Wochen. Aus medizinischen und logistisch effektiveren Gründen wurde das Objekt per 31. Dezember 1998 geschlossen und in das Krankenhaus Küchwald des Klinikum Chemnitz GmbH integriert.

Am 23. September  1911 erfolgte im Waldgebiet „Kohlung“ auf Auerwalder Flur die feierliche Einweihung eines wiederum vom Stadtbaumeister K. Wilhelm Luthardt projektierten Kinderwalderholungsheimes und einer Rekonvaleszenten-Erholungsstätte für Erwachsene. Heute bildet die ehemalige Kinderwaldstätte das Senioren-Betreuungszentrum Glösa.

Der Verein zur Bekämpfung der Schwindsucht setzte sich ein für die Einführung des Milchausschanks in den Fabrikkantinen, für ­sozialen Wohnungsbau und für Schulabschluss-Untersuchungen, gab Berufs­empfehlungen, vermittelte Landerholungsstellen und gab Anregungen für Ferienwanderungen.

Der Verein mit durchschnittlich 4.000 Mitgliedern aus allen Bevölkerungskreisen widmete sich der Aufklärung durch Vorträge, Kurse, Artikel in Zeitungen und Zeitschriften und durch die Herausgabe von Merkblättern. Von 1906 bis 1932 gab er eine zwölfseitige Zweimonatsschrift, die „Mitteilungen des Vereins zur Bekämpfung der Schwindsucht in Chemnitz und Umgebung“ in einer Auflage von 6.000 Exemplaren heraus. Im Durchschnitt standen 4.000 bis 6.000 Personen in der direkten Fürsorge des Vereins. Der langjährige 1. Vorsitzende des Vereins war Dr. jur. Walter Oertel. Für seine beispielgebenden Leistungen wurde er von der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig mit dem Doktortitel ehrenhalber geehrt. 1919 ernannte ihn die sächsische Landesregierung zum geheimen Regierungsrat.

Nach dem 8. Mai 1945 wurde der Verein im Amtsregister des Amtsgerichts Chemnitz gelöscht. Am 14. März 1946 beschloss der Rat der Stadt Chemnitz auf seiner 10. Ratssitzung die Übernahme des Vereinsvermögens in das Eigentum der Stadt Chemnitz.

aus VS Aktuell 4/2014, erschienen im  VS Aktuell   Aus der Stadtgeschichte