Vom schweren Wiederaufbau der Stadt Chemnitz

Ein Rundgang vom Markt zum Theaterplatz

Ruinen, Trümmer und Brachland prägten das Stadtgebiet von Chemnitz. Für die Nachkriegsgeneration sollte dieser Anblick noch Jahrzehnte andauern.

Am 4. August 1945 kamen 11.000 zu einem freiwilligen Arbeitseinsatz, später am 27. Oktober halfen 40.000 Menschen. Bis Ende des Jahres wurden 33 Kilometer Straßenzüge, darunter die der Innenstadt und alle Hauptverkehrsadern, komplett von Trümmern befreit.

Die größte Last hatten dabei die Frauen zu tragen. Ihre Ehemänner, Brüder und Söhne waren in Kriegsgefangenschaft, verwundet oder tot. Die Sorge ums Überleben trieb viele freiwillig zur Trümmerbeseitigung. So konnten sie die Haushaltskasse und Lebensmittelrationen aufbessern. Die „Trümmerfrauen“ sind zum Symbol für den Aufbauwillen und die Überlebenskraft der Deutschen in der Nachkriegszeit geworden. Ihre Entsagung und Kraft vergisst die Geschichte nur allzu leicht.

Von den drei großen Preußen standen nur noch die Marmorsockel auf dem Markt. Die Bronzefiguren von Kaiser Wilhelm, Bismarck und Moltke wurden bereits 1943 als Kriegsspende eingeschmolzen. 

Das Alte Rathaus, 1620 vollendet, wurde am 5. März 1945 innerhalb einer Stunde zerstört. Den Stadtvätern von damals gelang es, dieses bis 1950 wieder aufzubauen. 

Anders sah es mit der Kirche St. Jakobi aus, deren Dachstuhl in der gleichen Nacht abbrannte. Als die Trümmer rund herum nicht mehr brannten, ging der Pfarrer mit vielen Helfern auf die Suche nach Brettern und Blechen, um wenigstens den Chorraum abdecken zu können. Das gelang zum Glück, vielleicht auch mit Gottes Hilfe. Einige Wochen später kam es zu einem starken Gewitterguss. Das Gewölbe vom Kirchenschiff füllte sich mit Wasser und stürzte mit einem großen Knall ein. Um den erhaltenen Chorraum als Kirche nutzen zu können, wurde eine Trennwand eingezogen. Dieser Zustand dauerte bis 2005 an. Die endgültige Sanierung der Jakobikirche konnte erst im letzten Jahr abgeschlossen werden. 

Ein trauriges Los hatte die St.-Pauli-Kirche, die ähnlich zerstört wie die Jakobikirche war. Erste Sicherungsarbeiten begannen kurz nach dem Krieg. Wie bei St. Jakobi sollte ein Notdach auf dem Kirchenschiff angebracht werden. 1957 wurde das Dach der Turmruine mit Schiefer gedeckt. Der Kirchenvorstand schöpfte Mut, dass alle Anstrengungen zum Wiederaufbau nicht umsonst waren. Immerhin hatte man für alle Mauersicherungsarbeiten 60.000 Mark an Baugeldern aufgebracht. Es sollte anders kommen! Am 27. Februar 1961 erhält der Kirchenvorstand vom Justitiar des Stadtbauamtes ein Schreiben mit der kurzen Mitteilung: „Ihr Grundstück Getreidemarkt 8, Flurstück 246 soll für den Bau von achtgeschossigen Wohnblöcken in Anspruch genommen werden.“ Damit war das Schicksal der St.-Pauli-Kirche besiegelt. Ein Einspruch gegen diesen Beschluss war nicht möglich. Am 15. März 1961 wurde die Kirche gesprengt, innerhalb weniger Tage waren die Bautrümmer beseitigt.

Auf dem Weg zurück zum Markt steht vom Gebäudekomplex „Siegertsches Haus“ nur noch die mittlere Fassade. Mit einem Kostenaufwand von 32.444 Talern wurden 1737-1741 die drei Häuser gebaut. Nach der Sicherung der mittleren Fassade 1952 konnte bis 1954 das Haus wieder aufgebaut werden. In die zwei Fassaden daneben wurde weniger Aufwand gesteckt. 

Kurz ein Blick zurück zum Alten Rathaus: Der Hohe Turm, einst der Sitz des Türmers, wurde zunächst ohne Turmhaube aufgebaut. Erst seit dem 26. September 1986 ist er wieder komplett. Seitdem beträgt seine Höhe wieder 64 m. Ein Drittel des Turmes dient der St.-Jakobi-Kirche als Glockenturm. Die B-Glocke wurde 1949 auf einem Hamburger Glockenfriedhof gefunden und an die Kirchgemeinde zurückgegeben.

Gleich neben dem Alten Rathaus steht das von Richard Möbius geplante Neue Rathaus. Die ersten Pläne gab es schon 1888, wegen Geldmangels wurden sie auf Eis gelegt. Erst 1905 sprachen sich der Rat der Stadt und das Stadtverordnetenkollegium für den Neubau aus, allen voran der damalige Oberbürgermeister Dr. Heinrich Beck. Ab 1907 konnten die Pläne umgesetzt werden. Richard Möbius baute das Rathaus im Stile des Historismus auf. Die Weihe fand am 2. September 1911 in Anwesenheit des sächsischen Königs Friedrich August III. statt. An der Innenausstattung haben namhafte Künstler mitgewirkt, wie Professor Richard König aus Radebeul, Kunstmaler Paul Perks aus Dresden und der Münchner Kunstmaler Leo Pindl. Die Krönung allerdings ist das Monumentalgemälde von Max Klinger, welches der Fabrikant Hermann Vogel gestiftet hat. Es ist der soliden Bauweise zu verdanken, dass das Neue Rathaus den Krieg überstanden hat. Richard Möbius benötigte viel Platz für seine Baupläne und Akten und bestimmte, dass diese unter das Dach kommen. Damit es keine bösen Überraschungen gibt, ließ er den kompletten Dachstuhl verschalen und eine Beton-Bimssteinschicht gießen, welche dann die Brandbomben hat abgleiten lassen. Mit Hilfe der Feuerwehr und vieler fleißiger Helfer konnten die Brände um das Neue Rathaus in Schach gehalten werden. Alle Kostbarkeiten im Inneren des Neuen Rathauses sind uns dadurch erhalten geblieben.

Der weitere Weg führt über die ehemalige Königstraße in Richtung Theaterplatz. Hier war die Bausubstanz bis zu 80 % zerstört worden. Dem Roten Turm als letztes Relikt der alten Stadtmauer fehlte das Dach. Bis auf die Commerzbank und die Dresdner Bank standen alle Häuser ohne Innenleben da.

Das ganze Areal vom Roten Turm bis zum Marx-Kopf war eine riesige Brachfläche mit Wildwuchs, Baubaracken und Schutt. Es dauerte 25 Jahre, bis man eine Lösung gefunden hatte. Für unsere sozialistischen Jubelfeiern wurde die Karl-Marx-Allee sehr breit angelegt und auch dafür genutzt. Dass wir den schönen Stadthallenpark als Ruhepol haben, ist dem Bildhauer Lew Kerbel zu verdanken, er schuf das Marx-Monument und sein Marx sollte ein schönes Gegenüber haben.

Ein Großteil des Chemnitzer Brühls von der Karl-Marx-Allee bis zur Georgstraße wurde ab dem 15. August 1968 abgerissen. Das Christliche Hospiz am Friedrichplatz musste weichen, es folgten Anfang der 70er Jahre das Café Michaelis und weitere Gebäude an der Straße der Nationen. Mitte des Jahrzehnts wurden alle restlichen Gebäude, bis auf eines auf der Karl-Liebknecht-Straße, abgerissen und durch Plattenbauten ersetzt. Viele Chemnitzer trauern dem Chinesischen Kaffee- und Teehaus nach, das in der Nähe vom Kaufhaus Königsfeld stand. (Frühere Gäste schwärmten von den hübschen Töchtern des Besitzers.)

Mittlerweile sind wir am Theaterplatz angekommen, eigentlich der schönste Platz in Chemnitz, nur im Jahr 1945 treffen wir auf ein ausgebranntes Opernhaus, ein schwer beschädigtes Museum und schauen auf die Petrikirche, wo die Bleiglasfenster in westlicher Richtung geschmolzen waren. Durch Vermauern der zerstörten Fenster konnte das Gebäude gesichert und als Kirche weiter genutzt werden. Insgesamt dauerte die Sanierung der Petrikirche über 60 Jahre.

Am 31. August 1944 wurde mit einem „Deutschen Opernabend“ die letzte Vorstellung am Opernhaus gegeben. Von den anwesenden Besuchern, die zwischen Trauer und Hoffnung das Haus verließen, wollte keiner ahnen, dass Monate später nur noch die Außenfassade vorhanden sein soll. Alle Spielstätten waren zerstört, doch die Sehnsucht nach Musik und Kultur führte Menschen zusammen, die durch aufopferungsvollen Einsatz am 16. Juni 1945 im Saal des Realgymnasiums „Rigoletto“ zur Aufführung brachten. Bis August 1945 wurden noch vier weitere Ausweichspielstätten gefunden. Nach vier Jahren konnte der zweimillionste Besucher gezählt werden. Am 25. und 26. Mai 1951 fand die feierliche Wiedereröffnung des Opernhauses statt. Der Wiederaufbau stand nicht im „Plan“ und galt als Schwarzbau.  Der damalige Oberbürgermeister Max Müller wurde nach Dresden zitiert und wegen „groben Planverstoßes“ streng gerügt, Stadtkämmerer Seydel fristlos entlassen.

In Sichtweite des Opernhauses steht der König-Albert-Museumsbau. Am 14. Februar 1945 zerstört eine Luftmine viele Fenster. Türen wurden herausgerissen, am Inventar entstanden große Schäden. Am 5. März brannte das Dachgeschoss und die beiden oberen Stockwerke aus, wobei von der Einrichtung und vom Sammlungsgut viel vernichtet wird. Am 13. April schießen amerikanische Panzer zwei große Löcher in den Giebel. Erneute Schäden an Fenstern und Türen entstehen am 8. Mai 1945, als die  Stadt übergeben wird. Aus dem KZ Sachsenburg werden entlassene Häftlinge, Ostarbeiter und Flüchtlinge im Museum einquartiert. Es kommt zu großen Verwüstungen und Verunreinigungen, Schränke wurden aufgebrochen, es herrschte das blanke Chaos. Am 15. Juni trat Direktor Friedrich Schreiber-Weigand seine alte Stelle von 1933 wieder an. Er holt sich getreue Mitarbeiter zurück zum Aufräumen, Säubern und Organisieren. Von den städtischen Ämtern hält sich die Unterstützung in Grenzen. Mit Glas aus alten Bildern werden Fensterscheiben eingesetzt, mit Hilfskräften aus dem Bauamt wird das Dach notdürftig gedeckt und aus Olbernhau ausgelagerte Kunst zurückgeholt.

Trotz der Rückschläge, die es gegeben hat, konnte im Herbst 1945 eine Käthe-Kollwitz-Ausstellung eröffnet und im Frühjahr 1946 eine Ausstellung Dresdner Künstler gezeigt werden.

Resümee: Wenn es die vielen engagierten Menschen nicht gegeben hätte, wie die Trümmerfrauen, Künstler, Handwerker, Arbeiter, um nur einige zu nennen, hätten wir vom alten Chemnitz, kaum noch ein Gebäude in der Stadt.

Im nächsten Beitrag beleuchte ich die Zeit von 1980 bis 2016.

Ihr Gästeführer
Udo Mayer

Quellen:

  • Chemnitz - Ein Stadtzentrum sucht sein Gesicht. Texte von Stefan Weber, Türmer der Stadt Chemnitz. Limbach-Oberfrohna: Bildverlag Thomas Böttger, 1993
  • Lindner, Udo: Chemnitz – Karl-Marx-Stadt und zurück. Chemnitz: Chemnitz Verlag, 2001
  • Richter, Gert: Chemnitzer Erinnerungen 1945. Chemnitz: Verlag Heimatland  Sachsen, 2001
  • Volkmar Leimert: 90 Jahre Opernhaus Chemnitz. 1909–1999. Städtisches Theater, Chemnitz, 1999

aus VS Aktuell 2/2016, erschienen im  VS Aktuell   VS Aktuell 2/2016