Bezöge man die Armutsrisikoquote von 17 % auf Chemnitz, wären etwa 11.600 Senioren armutsgefährdet, so die Antwort von Bürgermeister Michael Stötzer auf eine Ratsanfrage, die Stadtrat Lars Faßmann (Fraktionsgemeinschaft VOSI/Piraten) der Verwaltung gestellt hat. Die Stadt muss sich also mittelfristig auf schwerwiegende Probleme einstellen und im Blick behalten, dass viele Betroffene nicht gleich mit Renteneintritt, sondern erst später bedürftig werden. Diese brauchen meist erst ihr Erspartes auf, bevor sie Hilfeleistungen als letzten Ausweg beanspruchen. In der Realität scheuen viele ältere Menschen den Gang zum Sozialamt. Die Beantragung einer Grundsicherung wird oft aus Scham oder aus Angst, dass die Kinder finanziell herangezogen werden, vor sich hergeschoben. Miet- und Betriebskostennachzahlungen können dadurch zur Schuldenfalle werden.
Die Stadtverwaltung ist nicht nur gefordert, ausreichende finanzielle Mittel einzuplanen, sondern auch bereits bestehende Hilfsangebote weiterzuentwickeln. Diesbezüglich wird bereits einiges getan (bspw. Förderung von Beratungsangeboten, darunter Begegnungsstätten), jedoch ist aufgrund der Rentenhöhe abzuklären, wie sich der Grundsicherungsbedarf in den nächsten Jahren entwickeln wird und ob bestehende Angebote dafür ausreichen. Die Anzahl der Menschen mit geringen Renten ist entscheidend für den Umfang künftig benötigter kommunaler Finanzen und Hilfemaßnahmen. Doch: Nur mit aussagekräftigen Daten kann das Ausmaß realistisch eingeschätzt werden!
Aufgrund vieler Gespräche u. a. bei Stammtischen von Betroffenen und Betreuern geht die Wählervereinigung Volkssolidarität Chemnitz (Vosi) von einer wesentlich höheren Dunkelziffer als ca. 6 % tatsächlicher Leistungsempfänger aus.
Der allgemeine Vergleich, der in der Verwaltungsantwort gezogen wird, ist für die Einschätzung der Situation und der weiteren Entwicklung in Chemnitz nicht ausreichend. Sozialhilfe-Planung ist eben nicht nur auf exakte Zahlen ausgelegt, sondern es kommt wie bei jeder fachgerechten Schätzung darauf an, tatsächliche Zahlen der Vergangenheit anhand Erfahrungen und Prognosen hochzurechnen. So wird bspw. im Schulamt anhand der Geburtenzahlen errechnet, wie viele Schüler wann eingeschult werden und wie sich die Zahl der Schüler in den verschiedenen Schulformen entwickelt. Auch unbekannte Faktoren wie Eigentum und Vermögen sind aus der Vergangenheit vorhanden. Menschen, die eine niedrige Rente beziehen, werden jedoch kaum ein hohes Einkommen gehabt haben. Bei dem niedrigen Gehaltsniveau der Region und der jahrelang hohen Arbeitslosigkeit werden Sonderfaktoren, die sich erst in der Rente auswirken, selten sein.
Belastbare Zahlen und damit ein konkreter Blick in die Zukunft sind also wichtig, um rechtzeitig die notwendigen Mittel für Hilfeleistungen sowie für Beratungs- und Betreuungsangebote entsprechend des prognostizierten Bedarfs einzuplanen. Daher schlugen die VOSI/Piraten dem Stadtrat per Beschlussvorlage vor, dass die Verwaltung von der Deutschen Rentenversicherung aktuelle Zahlen für Chemnitz abfordert, damit eine konkrete Planung abgeleitet werden kann. Der Antrag wurde in den Sozialausschuss verwiesen, der darüber im Januar beriet. Fraktionsvorsitzender Andreas Wolf-Kather konnte hier den Antrag erläutern und wurde gebeten, diesen zurückzuziehen. Im Gegenzug versprach der Sozialausschuss, sich dem Thema anzunehmen und noch dieses Jahr eine Fachveranstaltung mit Experten zu veranstalten, bei der auch zuverlässige Zahlen auf dem Tisch liegen sollen. Der Antrag wurde zurückgezogen und nun bleibt zu hoffen, dass das Thema nicht erst nach der Kommunalwahl im Mai weiter behandelt wird.