Liebe Mitglieder der Volkssolidarität,
vor einigen Monaten hatte der Bundesgesundheitsminister, Jens Spahn, angekündigt, einen Gesetzentwurf zur Einführung der Widerspruchslösung bei der Organspende vorzulegen. Den Worten sind noch keine Taten gefolgt, dennoch bleibt das Problem, dass die Zahl an Kranken, die dringend auf ein Spenderorgan angewiesen sind, und die Zahl der Spender/-innen nicht deckungsgleich sind. Es fehlen Spender/-innen.
Dies will nun Herr Spahn ändern, indem er eine Widerspruchslösung einführt, wie sie in vielen europäischen Ländern gilt. Der Grundsatz lautet: jede/-r ist potentielle/-r Organspender/-in, der/die dem nicht widersprochen hat. Dieser Grundsatz gilt in Frankreich, in Polen, in Spanien und sogar in der Türkei. Die konkrete Ausgestaltung der Widerspruchslösung ist dabei durchaus unterschiedlich.
In Erwartung des Gesetzentwurfes habe ich angeregt, in der Volkssolidarität eine Diskussion über diese Frage zu führen und Meinungen und Argumente auch an die Bundesgeschäftsstelle zu übermitteln. Die für Gesundheit und Pflege verantwortliche Mitarbeiterin, Frau Dummert, sollte die Ergebnisse für den Bundesvorstand und seine Arbeitsgruppen zusammenfassen. Leider sind nur wenige Meinungsäußerungen eingegangen.
Deshalb will ich meine Position darstellen und hoffe auf Zustimmung und Widerspruch. Ich befürworte die von Jens Spahn vorgesehene Widerspruchslösung, sehe aber auch Bedingungen, die erfüllt sein müssen. Meine Auffassung ist auch emotional bedingt. Mein Sohn ist Urologe, spezialisiert auf Nierentransplantationen. Durch ihn weiß ich, mit welcher Verzweiflung Menschen auf ein Spenderorgan warten. Lebendspenden von Angehörigen sind dann gegebenenfalls der einzige Ausweg.
Es gibt auch sachliche Argumente, die für eine Widerspruchslösung sprechen. Dazu zählt natürlich die Tatsache, dass trotz des Anstiegs der Organspenden 2018 die jetzige Regelung die vorgenannte Diskrepanz nicht beseitigen kann. Wie andere europäische Länder zeigen, ist die Einführung der Widerspruchslösung keine Garantie für eine höhere Zahl an Spender/-innen, aber im Durchschnitt warten Kranke bei Weitem nicht so lange auf ein Spenderorgan wie in Deutschland. Die gegenwärtige notwendige Zustimmungserklärung führt dazu, dass eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ich nach dem Hirntod oder dem Herztod Organe spenden will, nicht stattfindet.
Es ist ähnlich mit der Vorsorgevollmacht, das Ausfüllen des Formulars wird von vielen verschoben, weil man/frau sich mit der Frage nicht befassen will. Die Widerspruchslösung zwingt aber jeden und jede zu dieser Auseinandersetzung. Und damit bin ich auch schon bei den Bedingungen für die Einführung der Widerspruchslösung. Wer der Organentnahme nach dem Hirntod widerspricht, muss sicher sein, dass seine Entscheidung bindend ist. Das ist sie nur dann, wenn dem Krankenhaus oder dem Transplantationszentrum bei einem Todesfall verlässlich Kenntnis über den Widerspruch gegeben wird. Der Widerspruch muss jederzeit eingelegt oder zurückgezogen werden können.
Ohne hohe Verlässlichkeit, Transparenz und gesellschaftliche Mitwirkung und Kontrolle wird auch eine Widerspruchslösung keinen Erfolg haben. Aber vielleicht können wir ja von anderen europäischen Ländern etwas lernen. Das muss man nur wollen.
Eine weitere Bedingung muss ebenso erfüllt sein. Profitmacherei mit Organen und Transplantationen ist mit großer Konsequenz auszuschließen.
Unabhängig von der konkreten gesetzlichen Ausgestaltung der Regelungen zur Organspende ist ihre gesellschaftliche Aufwertung und Wertschätzung notwendig. Das beginnt mit der Freistellung der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken, reicht über die Unterstützung von Angehörigen von Organspender/-innen, beispielsweise durch die Beteiligung an der Finanzierung von Bestattungskosten und bei Lebendspenden könnte der Bundespräsident eine besondere Lebensrettungsmedaille verleihen.
Herzliche Grüße
Ihr Präsident Dr. Wolfram Friedersdorff