Zu den massenwirksamsten Arbeiterkulturorganisationen in den Jahren der Weimarer Republik gehörten die heute vergessenen Funkamateure, die einst eine Pionierrolle spielten. Seit am 29.September 1923, 20 Uhr, der Deutsche Rundfunk aus dem Vox-Haus auf Welle 400 erstmals auf Sendung gegangen war, hielt das „Phänomen Radio“ fortan Tausende in seinem Bann. Darunter auch viele, die sich nicht mit der Rolle als Konsument zufriedengaben, sondern danach strebten, sich auch die funktechnischen Zusammenhänge zu eigen zu machen. Die Funkbastelei machte sich breit. Oft ging es dabei jedoch nur um den Bau von Empfängern, da der Kauf einer fertigen Anlage damals für viele nur schwer oder überhaupt nicht erschwinglich war. Deshalb gehörten Funkvereine alsbald zu den massenwirksamsten Interessengruppen. In Chemnitz formierte sich am 22. August 1924 im Restaurant „Goldener Anker“ ein Arbeiter-Radio-Klub mit 35 Mitgliedern. Es ging zunächst um die gemeinschaftliche Aneignung der Grundlagen der Radiotechnik und die Befähigung zum selbständigen Bau von Rundfunkempfängern. Dabei spielte die gegenseitige Hilfe und Unterstützung eine große Rolle. Daran hatten besonders die ehemaligen Militärfunker des I.Weltkrieges Anteil. Anfang Februar 1925 erwarben die ersten neun Mitglieder die „Audionsversuchserlaubnis“ zum offiziellen Betreiben selbstgebauter Funkgeräte. Bis zum einjährigen Bestehen des Vereins erwarben von den in Kursen ausgebildeteten 180 Mitgliedern 97 diese Erlaubnis. Zum ersten Vereinsjubiläum präsentierte der Arbeiter-Radio-Klub Chemnitz vom 31.Juli bis 2.August 1925 in der seinerzeitigen Schule am Bernsbachplatz die erste Chemnitzer Funkausstellung. In deren Turnhalle war zu sehen, was die Arbeiter-Funkamateure zu leisten imstande waren: Anlagen von simpelster bis zu hochqualifizierter Ausführung, darunter auch die eines Zwölfjährigen. Einzelne Bauphasen wurden veranschaulicht. Im Schulgebäude selbst waren die Chemnitzer Radiohändler – wie Baumann, Bachmann, Epperlein, Falke, Kühn, Mönicke und Tetzner – mit einer Schau von Geräten, Bau- und Ersatzteilen präsent. Zugleich erhielt der Besucher auch die Möglichkeit einer Übersicht über die deutsche und internationale Fachliteratur. Mit der Ausstellung gingen Vorträge einher, die bis zu 150 Zuhörer zählten. Die Chemnitzer Amateurfunker stellten auch ihre Kontakte zu Funkamateuren u.a. nach Japan, Mexiko, in die Sowjetunion und in die USA vor. Die Ausstellung fand großen Anklang und verzeichnete die für die damaligen Verhältnisse ungewöhnliche Zahl von nahezu 10 000 Besuchern. Die aufstrebende Entwicklung der Arbeiter-Radio-Bewegung wurde jedoch beeinträchtigt durch parteiegoistische Interessen. Sie wurde dadurch gespalten in den der SPD nahestehenden Arbeiter-Radio-Bund Deutschlands und den KPD orientierten Freien Arbeiter-Radiobund Deutschlands. Mit der Errichtung der NS-Herrschaft 1933 kam für beide das sofortige Aus. Mit Ausbruch des 2. Weltkrieges verbot die Naziführung das Abhören ausländischer Sender und ging mit brachialer Gewalt gegen deren Abhören und Verbreiten ihrer Nachrichten vor. Im 2. Quartal 1944 erfolgten z.B. 5872 Verhaftungen wegen Verstoß gegen die „Rundfunk-Verordnung“. Dennoch gab es mutige Antifaschisten die sich trotzdem widersetzten. Zu ihnen gehörte die Burgstädter Textilarbeiterin Gertrud Schreiber. Sie hatte im Elternhaus mit ihrem Vater, der Mitglied des Freien Arbeiter- Radio-Bundes gewesen war, Radio Moskau in deutscher Sprache gehört. 1943 erfuhr sie aus Sendungen des Moskauer Rundfunks die Namen deutscher Kriegsgefangener. Daraufhin schrieb sie mit verstellter Handschrift auf verschiedenem Papier zwanzig Briefe, die sie dann anonym, nur mit Handschuhen angefasst, in Leipzig oder Chemnitz an die Angehörigen zum Versand brachte. Nach Kriegsschluss waren noch dreizehn Adressaten auffindbar, die Gertrud Schreiber ihre Dankbarkeit bekundeten.
Chemnitzer Arbeiterfunker in Aktion
aus VS Aktuell 1/2008, erschienen im VS Aktuell 1/2008 Aus der Stadtgeschichte