Gemischte Stimmungslage in Ostdeutschland

Sozialreport 2012

Die Hälfte der Ostdeutschen ist mit ihrem Leben zufrieden und „sehr zufrieden“. Das gilt vor allem für die privaten Lebensbereiche wie Wohnen, Partnerschaft und Freizeit. Am wenigsten zufrieden sind die Ostdeutschen in den Bereichen Leben mit Kindern, Demokratie, politischer Einfluss und mit den Einkommens-Preis-Verhältnissen. Das gehört zu den Hauptaussagen des „Sozialreport 2012“ zu den Positionen der Bürger der neuen Bundesländer zu ihrer sozialen Lage, den der Sozial- und Wohlfahrtsverband Volkssolidarität Ende Oktober in Berlin vorstellte. Das Sozialwissenschaftliche Forschungszentrum Berlin-Brandenburg (SFZ) e.V. hat die Studie im Auftrag der Volkssolidarität erarbeitet. Dazu wurden rund 1.600 Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren befragt, darunter zum Vergleich auch Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen.

Entscheidend für die individuelle Einschätzung sei die soziale Lage, betonte Verbandspräsident Prof. Dr. Gunnar Winkler bei der Vorstellung der Studie. Danach lebte 2012 ein Viertel der Ostdeutschen ab 18 Jahren unterhalb der Armutsrisikoschwelle. „Es gibt insgesamt nach wie vor eine hohe Lebenszufriedenheit“, so Winkler. „Die Hälfte der ab 18-jährigen Bürger in den neuen Bundesländern ist mit ihrem Leben alles in allem „zufrieden“. 2000 waren das 58 Prozent. 37 Prozent sind ‚teilweise zufrieden‘ und nur elf Prozent ‚unzufrieden‘ bzw. ‚sehr unzufrieden‘.“ In Niedersachsen machten die Zufriedenen mit 58 Prozent einen höheren Anteil aus.

Winkler verwies darauf, dass „die Schere in den zugrundeliegenden Lebensverhältnissen sich im Osten weiter geöffnet“ hat. „Das betrifft im Besonderen die Einkommen, das Wohnen, die berufliche Qualifikation.“ Unterschiede zeigten sich auch durch den Wohnort der Befragten, ob diese in Gemeinden oder größeren Städten lebten. Bei ersteren sei die allgemeine Zufriedenheit zwischen 2000 und 2012 von 18 auf acht Prozent gesunken. Bei den Großstädtern dagegen sei sie von 25 auf 29 Prozent gestiegen. „Wir verweisen erneut auch besonders darauf, dass sich die Gruppe der 50- bis 65-Jährigen durch eine geringere Zufriedenheit sowohl gegenüber den Jüngeren als insbesondere gegenüber den Älteren abhebt.“

Die Studie gibt auch eine hohe soziale Verunsicherung wieder. „Befürchtungen sind vorherrschend gegenüber Hoffnungen“, stellte Winkler fest. „Die Verschlechterung der finanziellen Absicherung im Alter liegt an der Spitze der Befürchtungen und reflektiert die aktuelle Debatte um Altersarmut und das Fehlen glaubwürdiger Konzepte zu deren Beseitigung.“ Mit 27 Prozent gehe „ein hoher Anteil von Ostdeutschen“ davon aus, dass sich die soziale Lage weiter verschlechtere, während immerhin in den letzten Jahren gleichbleibend 39 Prozent keine Veränderungen erwarten. Dazu trage bei, dass „eine zunehmende Zahl von Bürgern vom ökonomischen Fortschritt abgekoppelt“ sei. Belege seien der Anstieg von Altersarmut, prekären Arbeitsverhältnissen sowie Ungleichheiten zwischen Ost und West, z. B. beim Mindestlohn, bei der generellen Tarifgestaltung sowie den Renten und dem Arbeitsmarkt für Ältere. „Die ökonomische Entwicklung insgesamt ist immer weniger mit sozialer Entwicklung für alle und stabiler sozialer Sicherheit verbunden, sondern mit Entsolidarisierung“, so der Verbandspräsident. Er machte außerdem deutlich, dass laut „Sozialreport 2012“ das Vertrauen in demokratisch legitimierte Institutionen nach wie vor gering ist. „Die politischen Mitwirkungsmöglichkeiten werden mehrheitlich als nicht hinreichend bewertet.“ Doch trotz dieser hohen Unzufriedenheit gebe es eine große Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement.

„Die soziale Integration der Bürger der neuen Bundesländer ist aus deren Sicht keineswegs hinreichend“, gab Winkler als eines der Umfrageergebnisse wieder. Er betonte, „dass die Erfahrungen der Ostdeutschen auch besagen, dass es keine soziale Sicherheit ohne Freiheit gibt und umgekehrt“. Es sei nicht zu akzeptieren, sie gegenüberzustellen, ebenso wenig wie ein „anstelle von“ hinzunehmen sei. „Ausdruck der erreichten Identifikation der Bürger der neuen Länder ist, dass sich 51 Prozent weder als richtige Bundesbürger fühlen, noch die DDR wiederhaben wollen. 31 Prozent fühlen sich inzwischen als gleichberechtigte Bundesbürger.“ Nur acht Prozent wollten „am liebsten die DDR wiederhaben“, was vorrangig mit der individuellen sozialen Situation zusammenhänge. „Auch in Niedersachsen wollen sieben Prozent die Mauer wiederhaben.“ Dabei gehe  es in Ost wie West nicht um politisch restaurative Forderungen, „sondern um die Herstellung von Arbeits- und Lebensbedingungen, welche eine eigenständige, soziale abgesicherte Lebensführung ermöglichen“. 

 

Weitere Informationen und die Materialien der Pressekonferenz sind online unter www.volkssolidaritaet.de/cms/sozialreport_2012.html zu finden.

aus VS Aktuell 4/2012, erschienen im  VS Aktuell   VS Aktuell 4/2012